Volkstrauertag 2023 in Mosbach: „Sie starben in der Fremde“

Gedenkfeier beim Kriegerdenkmal auf dem Friedhof Mosbach

Die zentrale Gedenkfeier der Stadt zum Volkstrauertag (19. November) fand dieses Jahr beim Kriegerdenkmal auf den Friedhof Mosbach statt. Der Musikverein Mosbach umrahmte die Veranstaltung instrumental mit den Titeln „Eventide Fall (Eintreten der Dämmerung)“ und „Irische Segenswünsche“. Oberbürgermeister Julian Stipp wies in seiner Begrüßungsrede darauf hin, dass die heutigen Generationen an den vergangenen Verbrechen keine Schuld trügen. Es gelte aber Verantwortung zu übernehmen und diese auch in die Gegenwart und Zukunft hineinzutragen. Er betonte die Rolle der regulierenden Funktionen der Europäischen Union für den internationalen Frieden und rief dazu auf, angesichts der Ängste, Spannungen und Kriege an dieser Gemeinschaft festzuhalten. „Wir sind mehr, und wir sind stärker als der Hass“.

Die inhaltliche Gestaltung wurde dieses Jahr von einer kleinen Arbeitsgruppe aus dem Umfeld des Vereins KZ-Gedenkstätte Neckarelz vorgenommen. Corinna Scharrenberg, Maike Popp und Arno Huth hatten sich mit den sogenannten „Ausländergräbern“ aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Friedhof Mosbach befasst, da diese ziemlich überwuchert waren. Inzwischen hatte Stadt Mosbach die Gräber aus eigener Initiative wieder hergerichtet. In ihrem Beitrag gaben sie einen Überblick über diesen Teil der Kriegsgräber und brachten den Besuchern einige wenige Schicksale näher (siehe unten). Sie hatten zudem Irina Drantusova eingeladen, welche die Enkelin des verstorbenen russischen Kriegsgefangenen Jakow Agapow ist. Sie erzählte über das Schicksal ihres Großvaters und wie sie sein Grab auf dem Friedhof Mosbach vor anderthalb Jahren gefunden hatten.

Im Anschluss präsentierten Pfarrer Richard Lallathin und der BBW-Schüler Noel Cuna das Kunstwerk „Hoffnung“. Noel Cuna möchte damit ein Zeichen gegen die anhaltenden Kriege in der Welt setzen. Pfarrer Lallathin appellierte in seinem Gebet zu Gemeinsamkeit und Friedensbereitschaft, „damit unsere Kinder und Kindeskinder mit Stolz den Namen Menschen tragen“ können. Bürgermeister Patrick Rickenbrot erinnerte  bei der Kranzniederlegung an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker (vergleiche auch die Formel des Totengedenkens des früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck).

Die sogenannten „Ausländergräber“ auf dem Friedhof Mosbach

Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt Mosbach zur „Bereitstellung von Grabplätzen für Wehrmachtsangehörige“ verpflichtet. Man rechnete unter anderem mit Todesfällen im Reserve-Lazarett Mosbach. Der erste Bestattete war der 26-jährige Fliegerleutnant Fritz Borell, der im November 1939 auf einem sogenannten „Feindflug“ bei Stade abgestürzt war. Weitere Vorschriften zur Kriegsgräberfürsorge betrafen Angehörige von Wehrmacht und SS, Frontarbeiter, zivile Opfer und „Soldaten der verbündeten Mächte und der Feindmächte“. Verschiedene Listen nach dem Krieg nennen etwa 35 deutsche Kriegsgräber von Soldaten und wenigen Zivilisten. Balduin Herter hingegen zählt „im Zweiten Weltkrieg gefallene und vermisste, in Kriegsgefangenschaft und Vertreibung gestorbene Angehörige“, um die „Mosbacher Familien trauern“ und kommt auf 318 Namen (Mosbacher Jahresheft 1995).

Neben dem Grabfeld um das Kriegerdenkmal für die deutschen Kriegsopfer finden sich weitere Kriegsgräberfelder. Auskunft über diese sogenannten „Ausländergräber“ gibt ein Friedhofsplan vom Oktober 1947, den die Stadt Mosbach für den Internationalen Suchdienst anfertigen musste. Verzeichnet sind darauf 167 Gräber: zum einen aus den Kriegsjahren, zum anderen von Displaced Persons, die nach ihrer Befreiung bis Ende des Jahres 1945 verstorben waren. Fast alle Gräber stammen aus den Jahren 1944 und 1945.

Gräber von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiter*innen, Jugendlichen, Kindern und Säuglingen

Die 19 Gräber im unteren Bereich neben dem Eingang an der Bundesstraße sind von sowjetischen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen aus Polen und der Sowjetunion und einem Jungen. Darunter sind die ersten fünf Beerdigten vom November 1941; es waren sowjetische Kriegsgefangene des Lagers Hasbachtal (zwischen Mosbach und Neckarburken neben dem früheren gleichnamigen Bahnhof gelegen). In einer Auskunft hieß es: „Die Russengräber sind nicht gärtnerisch angelegt.“

Die in diesem Feld bestatteten Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen wurden zwischen 15 und 55 Jahre alt, die meisten jedoch nicht einmal 30 Jahre. Sie hatten in der Landwirtschaft der umliegenden Dörfer arbeiten müssen, als sogenannte „Ostarbeiter“ in der unterirdischen Kugellagerfabrik in Neckarzimmern, bei der Firma Gmeinder und anderswo. Die Hälfte von ihnen war im Krankenhaus in Mosbach gestorben.

Einer von ihnen war der Großvater von Irina Drantusova. Jakow Agapow war am 5. Oktober 1907 im Dorf Blagodatnoje im Oblast Kursk in Russland geboren worden. Er war Zimmermann und Maschinist und verheiratet. Im Oktober 1941 (dreieinhalb Monate nach dem kriegerischen Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion) wurde er gefangen genommen. Er durchlief mehrere Kriegsgefangenenlager und kam schließlich 1944 ins „Ostarbeiterlager“ Haßmersheim, welches von der paramilitärisch organisierten Bau-Organisation Todt (OT) betrieben wurde. Vermutlich arbeitete er am Ausbau des Gipsstollens in Neckarzimmern (Berg-, Bau- und Erdarbeiten) für die unterirdische Verlagerung der Kugellagerfabrik VKF-SKF aus Schweinfurt. Das Barackenlager soll sich in einem sehr primitiven Zustand befunden haben. Im Alter von 37 Jahren starb Jakow Agapow am 8. November 1944 im Bezirkskrankenhaus Mosbach (das Gebäude in der Renzstraße gehört heute zum Landratsamt) an sogenannter „Herzschwäche“ und wurde am 11. November 1944 auf dem Friedhof Mosbach beerdigt (Grab Nr. 1.388). Irina Drantusowa und ihre Mutter in Russland haben ihren Großvater und Vater nie zu sehen bekommen.

Die jugendliche Zwangsarbeiterin Helena Petryszyn, geboren am 15. März 1928 in Polen, starb am 4. März 1945 kurz vor ihrem 17. Geburtstag im „Lager Arbeitsgemeinschaft Zuckermühle“ an einer „Herzlähmung“. Ihr Schicksal steht stellvertretend für viele polnische Jugendliche, die verschleppt worden waren und fern der Heimat und in der Fremde hatten Zwangsarbeit leisten müssen.

In dem Bereich nahe des Eingangs von der Bundesstraße befand sich eine weitere Reihe von 25 Kindergräbern – überwiegend von Säuglingen –, die allerdings schon in den 1950er Jahren aufgelöst wurden, weil sie nicht unter das Kriegsgräbergesetz fallen würden. Ein Grab hatte Maria Schopowa gehört, Kind einer Zwangsarbeiterin in Lohrbach, geboren am 31. Mai 1944 in Mosbach und gestorben mit 9 Tagen. In den Akten steht nur nüchtern: „Ertränken des Kindes durch die Mutter“ an der Elz „auf dem Weg nach Lorhbach“. Die Hintergründe des Todes sind nicht bekannt: Hatte die Mutter die Schwangerschaft geheim gehalten? Wusste sie vielleicht nicht, wie sie bei all der Arbeit ihr Kind lieben, versorgen und ernähren sollte? War es überhaupt die Mutter, die das Kind getötet hatte? Warum war für das polnische neugeborene Mädchen in Nazideutschland kein Platz und keine Zeit zum Leben?

Warum das Grab von Kazimierz Kaczmarek, geboren am 1. März 1938 bei Lodz, erhalten blieb, ist nicht bekannt. Seine polnischen Eltern Marie und Stanislaus hatten auf dem Knopfhof arbeiten müssen. Kazimierz Kaczmarek starb am 7. Juni 1944 im Alter von sechs Jahren im Bezirkskrankenhaus in Mosbach verstorben. Wie war seine Kindheit in der Fremde? Konntest er als Kind spielen und lernen? Konnte seine Mutter ihn am Sterbebett begleiten?

Gräber von Displaced Persons (befreite Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge)

Das größere Kriegsgräberfeld unterhalb des deutschen Kriegsgräberfeldes  war ursprünglich in drei Reihen angelegt. Durch Umbettungen der Toten aus westeuropäischen Ländern auf Friedhöfe in ihren Heimatländern oder auf nationale Friedhöfe in Deutschland und wenige interne Verlegungen wurde eine Reihe aufgelöst – und zwar von unten aus gesehen die hinterste Reihe (hinter der Hecke). Die genaue Lage der verbliebenen Toten in den beiden Grabreihen ist heute nicht mehr sicher lokalisierbar. Etliche der Toten konnten namentlich nicht identifiziert werden – von ihnen sind keine Grabsteine vorhanden. Trotzdem wurden die existierenden Grabsteine in regelmäßigen Abständen verteilt.

In der aufgelösten Reihe hatten sich fünf französische Kriegsgefangene befunden, drei britische Besatzungsmitglieder eines im August 1944 zwischen Mosbach und Neckarburken abgestürzten Flugzeugs, drei Arbeiter aus den Niederlanden und Belgien sowie acht französische und italienische Verunglückte eines Bergwerkseinsturzes in der unterirdischen Rüstungsfabrik von Daimler-Benz in Obrigheim im September 1944.

In den beiden noch vorhandenen Reihen waren neben den Gräbern von vier SS-Strafgefangenen und drei Zwangsarbeitern mindestens 75 Gräber von Displaced Persons. Letztere waren ehemalige ausländische Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen, KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und andere Menschen, die in der Region befreit worden oder nach Kriegsende hier hergekommen waren. Sie waren in umfunktionierten Zwangsarbeiterlager untergebracht oder in zu Hospitälern umgewandelten Gasthäusern gepflegt worden.

Unter den Displaced Persons waren mindestens 32 polnische, französische, russische und andere Häftlinge der KZ Neckarelz und Neckargerach. Sie waren vor allem Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung ihrer Heimatländer inhaftiert worden. Die SS hatte Ende März 1945 noch 900 kranke, nicht mehr gehfähige KZ-Häftlinge auf Güterwaggons verladen, um sie gemäß eines Befehl Himmlers „nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen“. Der Zug kam nicht mehr bis zum KZ Dachau durch: Die Häftlinge wurden erst nach ein paar Tagen bei Osterburken befreit. Mindestens hundert von ihnen starben während dieser Ereignisse und in den Monaten nach ihrer Befreiung.

Einer von ihnen war der Sinto Karl Walter-Bernhardt oder Karl Bernhard, geboren am 5. Juni 1923. Er war im Frühjahr 1943 durch die Kripo Karlsbad im „Protektorat“ (heutiges Tschechien) verhaftet und im März ins sogenannte Zigeunerlager im KZ und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt worden. Er wurde zur Nummer Z 3872, die ihm eintätowiert wurde. Er gehörte einem Transport von 90 sogenannten „Zigeunerhäftlingen“ an, die im Dezember 1943 zwecks medizinischer Fleckfieber-Experimente von Auschwitz zum KZ Natzweiler überstellt wurden. Im April 1944 kam er weiter ins KZ Neckarelz, wo die Häftlinge schwere Bau-, Berg und Erdarbeiten verrichten mussten. Anfang April 1945 wurde er zusammen mit mehr als 850 KZ-Häftlingen in Osterburken befreit. Allerdings konnte er diese wiedergewonnene Freiheit nur für wenige Tage erleben. Karl Bernhard starb am 22. April 1945 in Mosbach.

Die polnische Jüdin Ryfka oder Regina Grossmann, geboren am 20. Oktober 1910, hatte angesichts der Nazi-Herrschaft die meisten ihrer jüdischen Familienangehörige, Freunde und Bekannten verloren. Sie wurde im August 1944 vom Ghetto Lodz ins KZ Auschwitz-Birkenau verschleppt. Über Bergen-Belsen kam sie mit insgesamt 200 Frauen im Dezember 1944 ins Natzweiler KZ-Außenlager Geisenheim. Kälte, zugige Baracken, harte Arbeit und wohl viel zu wenig Nahrung bestimmten nun ihr Leben, bis das Lager Mitte März 1945 aufgelöst und die Frauen mit dem Zug und zu Fuß nach Dachau gebracht werden sollten. Sie machten eine Woche Zwischenstopp im KZ Neckargerach. Nach dem Luftangriff auf Neckargerach mit 220 Todesopfern wurden auch Frauen für Aufräumarbeiten herangezogen. Schließlich wurden nahezu alle Häftlingsfrauen weiter Richtung Dachau getrieben. Ryfka Grossmann blieb jedoch als eine von fünf kranken, nicht mehr gehfähigen Frauen zurück. Diese wurden gemeinsam mit hunderten weiteren, stark geschwächten männlichen Häftlingen in Waggons des KZ-Zuges gepfercht und ein paar Tage später bei Osterburken befreit. Frau Grossmann überlebte dieses Martyrium nur kurz und starb eine Woche nach ihrer Befreiung in Mosbach.

Ein einzelnes, nicht mehr lokalisierbares Grab auf dem jüdischen Friedhofsteil gehört Hersz Rosenbaum aus dem polnischen Radom. Er durchlitt das Ghetto und das Jüdische Arbeitslager Radom, wurde in Auschwitz zum Arbeitseinsatz im Reich ausgewählt und zu den KZ Vaihingen an der Enz und Neckargerach überführt. Nach seiner Befreiung bei Osterburken starb der 33-jährige Hersz Rosenbaum im Juni 1945 in einem Displaced Persons Hospital in der Hauptstraße.

Gräber von SS-Strafgefangenen

Auch mindestens 17 SS-Strafgefangene waren auf dem Friedhof Mosbach beerdigt worden. Diese waren Angehörige der SS und Polizei, die von SS-Sondergerichten verurteilt worden waren. Mögliche Haftgründe waren kriminelle Handlungen, Homosexualität, Verstöße gegen Kameradschaft, Gehorsam oder Manneszucht, Rassenschande oder anderes, aber auch Wehrkraftzersetzung. Die SS-Strafgefangenen hatten in der unterirdischen Rüstungsfabrik von Daimler-Benz in Obrigheim arbeiten müssen. Neun SS-Strafgefangene starben im Dezember 1944 bei einem Luftangriff auf das Lager Mosbach am Standort des heutigen Nikolaus-Kistner-Gymnasiums. Sie und drei weitere Strafgefangene waren in einem Grabfeld unweit des Eingangs bei der Gutleutkapelle beerdigt worden.

Sag Nein zum Krieg

Darunter auch der Österreicher Karl Lohnegger, geboren am 23. Mai 1896. Bereits 1930 war er für die nationalsozialistische Bewegung in Österreich engagiert, wurde 1934 wegen NS-Propaganda vom Staatsdienst suspendiert und gehörte seit 1938 der SS an. Erlebnisse im Krieg in den besetzten Ländern führten zu seinem Sinneswandel. Im Juli 1942 äußerte er sich wie folgt: „Wir werden diesen Krieg nie gewinnen!“ – „Ich habe Gelegenheit gehabt, in das KZ-Lager Auschwitz Einsicht zu nehmen … Es werden dort irgendwelche Gase in einen Raum gelassen, in welchem sich Juden befinden, die dadurch den Tod finden. Das kann kein Mensch, auch unsere Regierung nicht verantworten.“ – „Das Verbot an die Polen, sich ihrer Landessprache zu bedienen, ist eine Ungerechtigkeit“. Karl Lohnegger wurde hierfür durch die SS-Sondergerichtsbarkeit zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren verurteilt. Diese Haft verbüßte er zunächst im SS-Straflager Dachau, bis er im Spätherbst 1944 ins SS-Straflager Mosbach verlegt wurde. Er starb am 8. Dezember 1944 „bei einem feindlichen Luftangriff.“ Todesursache: „totale Verbrennung“. Karl Lohnegger steht exemplarisch für die Menschen, die angesichts von Krieg und den Verbrechen der Nazis gezweifelt und widersprochen haben und an Mitmenschlichkeit festgehalten oder diese wiedergewonnen haben.

Eine Erinnerung verdient auch der Hauptfeldwebel Heinrich Baader. Der 30-jährige hatte kurz vor Kriegsende Nein gesagt, Nein zum weiteren Morden. Er wurde am 27. März 1945 öffentlich am Stadteingang erhängt, nachdem ihn ein Standgericht in Mosbach „wegen Feigheit vor dem Feinde“ zum Tode verurteilt hatte. Erst im Oktober 1947 wurde sein Leichnam in ein Kriegergrab umgebettet und auf Initiative seiner Ehefrau ein halbes Jahr später auf den Friedhof seines Heimatortes Spalt bei Nürnberg überführt.

Zacheusz Pawlak (KZ-Häftling in Majdanek, Wesserling, Neckarelz, Bad Rappenau und Dachau) schließt sein Buch „Ich habe überlebt…“ mit einer enttäuschten Hoffnung, die aber weiter als Auftrag an alle Menschen bleibt: „Die an der Menschheit begangenen Verbrechen werden die Gemüter und Herzen der Welt so stark erschüttern, dass sie nie wieder ein neues Massaker, das den Namen Krieg trägt, zulassen werden! Ja, ich habe fest daran geglaubt…“

Gedenken an die Opfer der NS-Euthanasie

Kein Grab auf dem Mosbacher Friedhof erinnert an die Opfer der NS-Euthanasie. Ausnahme ist nur ein Familiengrab mit der Urne von Robert Brian. Sein Schicksal wird als eines von 29 Lebensgeschichten in dem am Tag darauf in Mosbach vorgestellten Buch „Was man schon längst geahnt und gefühlt hat – Opfer der NS-Euthanasie aus der Stadt Mosbach“ erzählt.

Demo 3. November 2023 in Osterburken: Den Rechten keinen Raum!

Gemeinsam und solidarisch – Für ein offenes, tolerantes und menschenfreundliches Osterburken

Mosbach gegen Rechts unterstützt den Aufruf des Arbeitskreises für Toleranz und Vielfalt Osterburken und ruft dazu auf, an der Demonstration gegen den Bürgerdialog der AfD teilzunehmen, auf welchem die rechtsextremen Exponenten der Partei MdB Dr. Christina Baum, MdB Dr. Dirk Spaniel und MdB Karsten Hilse sprechen werden. Die Gegendemonstration startet am 3. November 2023 (Freitag) um 17.30 Uhr am Bahnhof Osterburken und zieht zur Baulandhalle.

Warum der Bahnarbeiter Fritz Kittel geehrt wird

Esther Dischereit über deutsch-jüdische Zustände – oder: „Warum der Bahnarbeiter Fritz Kittel geehrt wird“ (Lesung und Gespräch)

Eine Veranstaltung des ver.di-Bildungszentrums Mosbach

am Mittwoch, 30. August 2023 um 19.30 Uhr im ver.di-Bildungszentrum Mosbach, Am Wasserturm 1-3, 74821 Mosbach. Der Eintritt kostet 5 €.

Esther Dischereits Arbeiten durchziehen provozierende Fragen, Bilder, Erinnerungen: Vom blauweißen Kleidchen und einem mit Blumen bemalten Teller bis zum Deutschlandlied in „Mama, darf ich das Deutschlandlied singen“.

Ab 16. August 2023 ist eine von ihr konzipierte Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt/Main zu sehen: „Wer war Fritz Kittel – Ein Reichsbahnarbeiter entscheidet sich – zwei Familien 1933-2022″.

Dass Erinnern und Gedenken zur politischen Einmischung gehören, davon zeugt auch das von ihr herausgegebene Buch „Hab keine Angst erzähl alles. Das Attentat von Halle und die Stimmen der Überlebenden.“

Esther Dischereit (geboren in Heppenheim) ist Lyrikerin, Essayistin, Erzählerin sowie Theater- und Hörstückautorin. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der zweiten Generation nach dem Holocaust. Von 2012 bis 2017 lehrte Esther Dischereit als Professorin an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Zum Thema siehe beispielsweise auch hier oder hier.

Kundgebung 9. August 2023 in Mosbach zum Nagasaki-Jahrestag

Für eine Welt ohne Atomwaffen! Stoppt die Klimazerstörung! Kämpft für das Leben!

In Christopher Nolans aktuellem Kinofilm „Oppenheimer“ erklärt dieser bei einer euphorischen Feier des ersten erfolgreichen Atomwaffentests am 16. Juli 1945 in Los Alamos: „Die Welt wird sich an diesen Tag erinnern!“

Ja, Leider. Daher lädt die Initiative AtomErbe Obrigheim IAEO auch dieses Jahr wieder zum 78. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki für Mittwoch, 9. August 2023 um 17.30 Uhr zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz Mosbach ein.

Als Stellvertreter des Oberbürgermeisters und „Mayors for Peace“ wird Stadtrat Manfred Beuchert ein Grußwort entrichten.

Hauptredner wird Dr. Robin Maitra sein. Er wird in seinem Beitrag schwerpunktmäßig auf die Gefahr nuklearer Eskalationen im Ukraine-Krieg eingehen. Dr. Maitra ist Hausarzt und Internist in Hemmingen im Landkreis Ludwigsburg und gehört dem Vorstand der deutschen Sektion der „Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs“ IPPNW und der Regionalgruppe Stuttgart an. IPPNW hat 1985 und als Teil der „Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen“ ICAN im Jahr 2017 den Friedensnobelpreis erhalten. Dr. Maitra ist darüber hinaus als Klimaschutzbeauftragter der Landesärztekammer tätig und arbeitet in diesem Zusammenhang auch viel zu den Folgen von Krieg für unser Klima.

Abschließend wird ein Vertreter der IAEO einen Überblick zur aktuellen Lage, zu Blockaden und Initiativen im Prozess zu einer atomwaffenfreien Welt geben, nachdem die Weltuntergangsuhr im Januar von 100 auf 90 Sekunden vor Mitternacht vorgestellt wurde.

Hier der Großteil der Redebeiträge auf der Kundgebung: https://mosbach-gegen-rechts.de/welt-ohne-atomwaffen-und-krieg/

Aufruf zum ersten CSD in Mosbach

Für Vielfalt und Solidarität

Update 16. und 20.7.2023

Hier ein paar Impressionen (danke an die Jusos Neckar-Odenwald für die Fotos): 300 vorwiegend junge Leute zogen entschlossen von der Auftaktkundgebung am Bahnhof Mosbach West zum Marktplatz Mosbach und feierten sich und den ersten CSD im Neckar-Odenwald-Kreis. In ihren Ansprachen warben der Landrat Dr. Achim Brötel, regionale Vertreter der Ampel-Parteien und ihrer Jugendorganisationen, die Organisatoren, die AWO und weitere Gruppen für eine vielfältige, offene und solidarische Gesellschaft, für Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe und ermutigten, gegen Hass, Hetze und Intoleranz einzustehen und zusammenzuhalten.

Für Vielfalt und Solidarität

„Mosbach gegen Rechts“ freut sich über den ersten Christopher Street Day im Neckar-Odenwald-Kreis (Mosbach, Samstag, 15. Juli 2023) und ruft zur Teilnahme auf.

Der folgende Text ist weitgehend dem gemeinsamen Flugblatt von „Mosbach gegen Rechts“ und dem Verein „KZ-Gedenkstätte Neckarelz e.V.“ zum ersten Mosbacher CSD entnommen:

Der Christopher Street Day

Der CSD erinnert an den „Stonewall Riot“, der erste größere Aufstand von Homosexuellen und anderen queeren Minderheiten Ende Juni 1969 gegen die Polizeiwillkür in der New Yorker Christopher Street im Stadtviertel Greenwich Village.

Zu dieser Zeit gab es immer wieder gewalttätige Razzien der Polizei in Kneipen mit homo- und transsexuellen Besucher*innen. Besonders betroffen von Misshandlungen und Willkür waren Afroamerikaner und Menschen lateinamerikanischer Herkunft.

Als sich dieses Mal Besucher der Bar „Stonewall“ – insbesondere Dragqueens, transsexuelle Latinas und Schwarze – gegen die wiederkehrenden Kontrollen wehrten, war dies der Auftakt zu tagelangen Straßenschlachten mit der New Yorker Polizei.

Um des ersten Jahrestages des Aufstands zu gedenken, wurde das „Christopher Street Liberation Day Committee“ gegründet. Seitdem wird in New York am letzten Samstag des Juni, dem „Christopher Street Liberation Day“, mit einem Straßenumzug an dieses Ereignis erinnert. Daraus ist eine internationale Tradition geworden, im Sommer für die Rechte von Lesben und Schwulen zu demonstrieren und zu feiern. „Gay pride“ bezeichnet das daraus hervorgegangene Selbstbewusstsein.

Für uns von „Mosbach gegen Rechts“ ist der Einsatz gegen Homophobie, Queer- und Transfeindlichkeit, für Vielfalt, Toleranz und Anerkennung gesellschaftlicher Minderheiten Teil unseres Engagements „gegen Rechts“ und für Antifaschismus.

Aber was ist denn eigentlich „rechts“, und wer sind die „Rechten“?

„Rechts“ und „links“ sind vor uns liegende Weg-Richtungen. Was verschiedene „rechte“ Strömungen gemeinsam haben – ohne dass es sie deshalb unbedingt eint oder verbindet -, ist die Behauptung oder die Ideologie von der Ungleichheit und der Ungleichwertigkeit von Menschen. Diese kann sich auf verschiedene Aspekte beziehen:

Die Menschen seien ungleich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen (tatsächlichen, konstruierten oder vermeintlichen) Rassen, Völkern, Nationen, Religionen, Geschlechtern oder aufgrund unterschiedlicher Körper, Sexualitäten oder aufgrund ihrer unterschiedlichen (Leistungs-)Fähigkeit oder Zugehörigkeiten zu bestimmten (wirtschaftlichen, sozialen oder gesellschaftlichen) Klassen oder Schichten oder anderem. Die Aufwertung der einen Seite geht einher mit der Abwertung der anderen Seite.

„Rechte“ reduzieren unsere menschliche Vielfalt auf ihre Vorstellungen von Ungleichheit. Mit dieser Ideologie der Ungleichheit …

– leiten sie unterschiedliche statt allgemeine Rechte ab

– sortieren sie Menschen in Schubladen und weisen ihnen Plätze zu oder grenzen sie aus bestimmten Lebensbereichen aus

– rechtfertigen sie Intoleranz, Diskriminierungen und Verfolgungen

– verteidigen sie die ungleiche Verteilung wirtschaftlichen Reichtums und gesellschaftlicher Teilhabe auf nationaler und globaler Ebene

– beharren sie auf Privilegien, die sie mit „Freiheit“ verwechseln

– wehren sie sich gegen Klimagerechtigkeit und leugnen damit einhergehend die menschengemachte Klimazerstörung

… oder anderes.

Widersetzen sich Menschen in ihrer Vielfalt gegen Zumutungen durch die „Rechten“ und widersprechen ihnen, wird ihnen häufig vorgeworfen, Teil einer Verschwörung zu sein – gegen das angeblich Alt-Bewährte, gegen eine göttliche oder natürliche Ordnung, wahlweise gegen Deutschland oder die Menschheit usw.

Warum wir uns „gegen Rechts“ engagieren

Menschen wehren sich aber gegen Rassismus, Nationalismus, Sexismus, Zwangsheterosexualität, wirtschaftliche, soziale, gesellschaftliche und religiöse Bedrückung, nicht weil sie Teil oder Marionetten einer „woken“ Verschwörung sind, sondern weil sie sich nach Emanzipation (Befreiung), nach Selbstbestimmung und Anerkennung und nach wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Teilhabe sehnen.

Nein, nicht wir haben einen Kulturkampf ausgerufen. Sondern wir wehren uns gegen Zumutungen durch Rechtskonservative, Rechtslibertäre, Rechtsextreme oder andere Reaktionäre. Wir wehren uns gegen Hass und Hetze, gegen tätliche oder verbale Übergriffe auf uns und unsere Mitmenschen.

Den Ungleichheitsvorstellungen der „Rechten“ setzen wir die gegenseitige Anerkennung in unserer Vielfältigkeit entgegen! Engagiert Euch für eine offene und solidarische Gesellschaft und für ein gutes Leben für alle!

Rosa-Winkel-Häftlinge in den KZ Neckarelz und Neckargerach

Im sogenannten „Dritten Reich“ spitzten Nazis rechte Ideologie tödlich zu: durch massenhafte Einsperrung, Entrechtung, brutale Zwangsarbeit, Gewalt und Mord in Konzentrationslagern (KZ), im rassistisch-nationalistischen Weltkrieg und beim Völkermord in Vernichtungslagern und -aktionen.

In den KZ mussten politische Häftlinge und ausländische Widerstandskämpfer einen roten Winkel tragen, sogenannte „Asoziale“ und „Arbeitsscheue“ sowie Sinti und Roma einen schwarzen Winkel, sogenannte Kriminelle oder „Berufsverbrecher“ einen grünen Winkel, Juden einen gelben Davidstern und Zeugen Jehovas einen lila Winkel. Männliche Homosexuelle wurden in den KZ in der Regel mit einem rosa Winkel stigmatisiert. Homosexuelle Frauen wurden als sogenannte „Asoziale“ oder anderweitig abwertend verfolgt.

Im Nationalsozialismus wurden von 1933 bis 1945 etwa 53.000 Männer nach § 175 Reichsstrafgesetzbuch wegen Homosexualität zu Haftstrafen verurteilt. Bis zu 15.000 von ihnen wurden in Konzentrationslager eingesperrt, wo ihre Todesrate bei 60 Prozent lag. In den KZ Neckarelz und Neckargerach (mit einer Maximalbelegung von rund 3.200 KZ-Häftlingen) waren die 17 homosexuellen Häftlinge eine verschwindende Minderheit unter den insgesamt fast 5.500 KZ-Häftlingen (davon nur etwas mehr als 300 Deutsche).

Das KZ Neckarelz war Mitte 1944 im Gebäude der Volksschule Neckarelz eingerichtet worden, das KZ Neckargerach im April 1944 in einem Barackenlager und ein weiteres KZ in Neckarelz im Sommer 1944. Drei kleinere Lager entstanden im Spätsommer 1944 in Asbach, Neckarbischofsheim und Bad Rappenau. Die KZ-Häftlinge mussten das Obrigheimer Gipsbergwerk zu einer unterirdischen Rüstungsverlagerungsfabrik von Daimler-Benz (Flugmotoren für Kampfjäger) ausbauen und schwere Berg-, Erd- und Bauarbeiten verrichten. In den Neckarlagern starben 275 KZ-Häftlinge. Mindestens 1.000 weitere starben nach ihrer Verlegung in andere KZ, bei der Evakuierung oder nach ihrer Befreiung bis Ende des Jahres 1945. Heute erinnert die KZ-Gedenkstätte Neckarelz an die Leiden der Häftlinge: http://www.kz-denk-neckarelz.de/

Was wurde aus den Rosa-Winkel-Häftlingen der KZ Neckarelz und Neckargerach? Der Schneider Josef Vonderbank und der Buchhalter Helmut Korth überlebten mehrere Jahre Haft und KZ. Auch andere wurden befreit. An Wolfgang Kostecky erinnert seit Juni 2023 eine Gedenktafel am Standort seiner inzwischen abgerissenen Villa in Berlin-Pankow; er starb 1949 in einem Lager für Displaced Persons in Böblingen an den gesundheitlichen Folgen seiner KZ-Haft. Heinrich Keil starb am 17. Februar 1945 im KZ Dachau. Walter Klauer starb am 1. Mai 1945 im Außenlager Ebensee des KZ Mauthausen. Karl Reimer starb am 21. Juni 1944 im KZ Natzweiler. Im KZ Dachau starben Julius Maier (2. Januar 1945) und Karl Kunich (11. April 1945); beide waren Jahre davor wegen angeblichem „Schwachsinn“ sterilisiert worden.

Schmähpreis „Goldene Abrissbirne“ für Karl Lauterbach (2)

Protest zur Gesundheitsministerkonferenz 2023

Nach einer Pressemitteilung des „Bündnis Klinikrettung“ bei „Gemeingut in BürgerInnenhand“

Am zweiten Tag der Gesundheitsministerkonferenz (Donnerstag, 6. Juli 2023) in Friedrichshafen protestierte das bundesweite Bündnis Klinikrettung gemeinsam mit weiteren Initiativen (unter anderem „Gemeingut in BürgerInnenhand“  „BI RuK Rosmann Breisach – Rettet unsere Krankenhäuser“, „Bündnis für Krankenhaus und gute Arbeit Neckartal-Odenwald“, „Bunte Kittel“, „Aktionsbündnis Pro Krankenhaus Schongau“, „Aktionsbündnis Das Geislinger Krankenhaus muss bleiben“ und attac) gegen die geplante Krankenhausreform. Rund 30 Leute beteiligten sich an der Aktion vor dem Graf-Zeppelin-Haus, in welchem die Gesundheitsminister tagten.

Das Bündnis kürte Karl Lauterbach zum Preisträger der „Goldenen Abrissbirne“, dem Schmähpreis für Klinikschließer.

Laura Valentukeviciute, Bündnis Klinikrettung:

„Karl Lauterbach wird mit seiner Reform als Klinikschließer in die Geschichte eingehen. Noch im Jahr 2019 befürwortete er Krankenhausschließungen, dann leugnete und verharmloste er sie. Jetzt versucht er, Schließungen als unausweichlich darzustellen. Dabei treibt er sie maßgeblich voran, indem er die Krankenhäuser trotz inflationsbedingter Hilferufe finanziell verhungern lässt und mit seiner Reform den flächendeckenden Kahlschlag in ein Gesetz gießt. Dieses Spiel ist eines Ministers unwürdig. Die ‚Goldene Abrissbirne‘ soll Lauterbach eine Warnung sein, dass die Menschen in diesem Land seine Täuschungsmanöver durchschauen und ablehnen.“

Die satirische Laudatio für den Gesundheitsminister steht hier zum Nachlesen bereit.

Mit der Reform werden 20 Prozent der Krankenhäuser zu ambulanten Gesundheitszentren degradiert, die keine Notfallversorgung leisten. Weitere 20 Prozent der Krankenhäuser sind schon heute reine Fachkliniken, die ebenfalls keine Notfallversorgung anbieten und beispielsweise in der Pandemie keine Covid-PatientInnen aufgenommen haben. Durch die geplante Reform wird der Abbau der Krankenhausversorgung in der Fläche vorangetrieben und die Lage in ländlichen Räumen beim Eintreten eines Notfalls lebensbedrohlich.

Joachim Flämig, Facharzt für Allgemeinmedizin, Vorstandsmitglied der Initiative „Rettet unsere Rosmann-Krankenhäuser Breisach“:

„In vielen Notfällen ist eine Versorgung innerhalb von 30 Minuten lebensentscheidend. Sei es, weil nur die schnelle Erstversorgung das Überleben sichern kann, wie bei inneren Blutungen oder Herzinfarkt. Oder sei es, weil nur die zügige Erstuntersuchung eine lebensgefährliche Verschlimmerung verhindern kann, wie bei Blutvergiftung oder Gehirntrauma. Nur wohnortnahe, rund um die Uhr geöffnete Allgemeinkrankenhäuser bieten hierfür das Notwendige: Erfahrung, technische Ausstattung, Rettungswagen, Notaufnahmestation und Intensivmedizin. Ambulante Einrichtungen können das nicht ersetzen.“

In seiner Rede (siehe unten) brach Joachim Flämig das Thema auf die Ebene des realen Alltags in kleinen Krankenhäusern im ländlichen Raum und die Perspektive von Patient*innen herunter und widersprach damit auch der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung in ihrer 5. Stellungnahme zur Krankenhausreform, in welcher die Leistungen kleiner ländlicher Krankenhäuser anhand bestimmter ausgewählter Behandlungen und zweifelhafter selektiver Qualitätsstatistiken verunglimpft wurden (zum Hintergrund siehe auch die Pressemitteilung vom 29.6.2023 Krankenhausreform: Bund-Länder-Arbeitsgruppe verkümmert zum Schließungsbasar).

Diese 5. Stellungnahme der einseitig zusammengesetzten Regierungskommission ist auch eine Reaktion auf das Scheitern des ersten Anlaufs Lauterbachs zu einer Krankenhausreform, wie sie in der 4. Stellungnahme dargelegt worden war: Laut der Auswirkungsanalyse war darin ursprünglich vorgesehen, die rund 1.700-1.900 Krankenhäuser in Deutschland auf insgesamt 500-600 Krankenhäuser der Level 3 (Maximalversorger), 2 (Schwerpunktversorger) und 1n (in ihrem Leistungsspektrum weiter beschnittene Grundversorger) sowie 200-250 Fachkliniken zu reduzieren. Die Zahl von noch rund 800 Geburtsstationen hätte sich möglicherweise mindestens halbiert. Die meisten restlichen Krankenhäuser hätten Level 1i erhalten sollen (je nach Rechnung 650 bis rund 1.000), wären damit aber nur noch Gesundheitseinrichtungen unter pflegerischer Leitung ohne Notfallversorgung beziehungsweise sogenannte (ambulante) Medizinische Versorgungszentren MVZ mit angeschlossener Kurzzeitpflegestation ohne durchgängige ärztliche Versorgung in der Nacht und an Wochenenden. Diese MVZ sind gleichzeitig ein Einfallstor für private Investoren mit Renditeerwartungen, was das Leistungsspektrum weiter auf finanziell lukrative Behandlungen verengen könnte.

Klaus Emmerich, Klinikvorstand i. R.:

„Eine Krankenhausreform ist überfällig, aber die aktuellen Vorschläge gehen besonders in ländlichen Regionen nur in eine Richtung: Verringerung klinischer Leistungen oder verordnete Schließung von Klinikstandorten. Mit Klinikschließungen aber gehen Personal und Ausbildungsstätten verloren. Das sture Festhalten am DRG-System bedeutet ein Weiter-So bei Fehlanreizen und bei der Unterfinanzierung der allerwichtigsten Versorgung wie Geburtsstationen oder Kinderkliniken. Die Vorhaltepauschalen, welche die Fallpauschalen nur anteilig ersetzen sollen, sind eine Mogelpackung. Zudem sollen sie erst 2025 kommen. Bis dahin werden unzählige weitere Krankenhäuser allein aus finanzieller Not schließen.“

Emmerich weiter:

„Solche großen Reformen finden nur alle 20 Jahre statt. Wenn wir jetzt nicht die richtigen Weichen stellen – weg von der Kommerzialisierung und Privatisierung des Krankenhauswesens hin zur Begrenzung der Profite der privaten Klinikketten und der Private Equity Fonds –, werden wir unser Krankenhaussystem in den nächsten 20 Jahren völlig gegen die Wand fahren.

Forderungen vom Bündnis Klinikrettung:

Wir brauchen eine Krankenhausreform, aber die aktuellen Reformvorschläge werden die herrschenden Probleme nicht lösen. Um die Debatte wieder auf den Kern zurückzuführen, weist das Bündnis Klinikrettung erneut auf die Ursachen der Finanzierungsprobleme der Krankenhäuser hin und schlägt folgende Reformschritte vor:
1. Fehlende Finanzierung durch die Bundesländer beenden – die Länder müssen Geld ab sofort bereitstellen.
2. DRG-Fallpauschalensystem abschaffen – Einführung der Selbstkostendeckung.
3. Renditeabfluss durch die privaten Klinikträger verbieten – Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit der Krankenhäuser.
4. Die parallelen Strukturen bei der privaten und öffentlichen Krankenversicherung sowie die problematisch hohe Zahl der Kassen beseitigen – eine öffentliche Krankenversicherung.

Die Lösungen für diese Probleme müssen zusammen mit den Betroffenen ausgearbeitet werden. Die jetzige Regierungskommission ist dafür nicht geeignet und muss neu zusammen gesetzt werden. Bis die neuen Vorschläge erarbeitet werden, muss der Bund die Gelder für den Inflationsausgleich bereitstellen und die Kliniken vor der Schließung retten.

Redebeitrag von Joachim Flämig, Facharzt für Allgemeinmedizin, DRK-Bereitschaftsarzt OV Ihringen und Wasenweiler, Vorstandsmitglied der BI „Rettet unsere Krankenhäuser – RuK Rosmann Breisach e.V.“ (Mitglied im Bündnis Klinikrettung):

Die von Gesundheitsminister Lauterbach geplante Krankenhausreform geht an den Menschen vorbei – vor allem an den Menschen auf dem Land

Mit der Reform werden viele kleine Krankenhäuser geschlossen. Die Experten argumentieren, dass es sich bei der Hälfte der Probleme der Menschen, die ein Krankenhaus als Notfall aufsuchen, um Bagatellen handelt. Unter Anderem deshalb könne man ohne Not die Zahl der Krankenhäuser deutlich verringern.

Nun kann ein Mensch als medizinischer Laie aber nicht einschätzen wie ernst seine Krankheit ist. Deshalb sucht er in seiner Not und Angst nach Hilfe. Je weiter ein Krankenhaus entfernt ist, desto höher ist die Hemmschwelle dorthin zu gehen. Die lange Anfahrt, die überfüllten Ambulanzen in den Zentren mit langen Wartezeiten werden sie davon abhalten nach Hilfe zu suchen. Sie warten dann die nächste Möglichkeit ab, ihren vertrauten Hausarzt oder die, wie geplant, am Morgen erst wieder geöffneten, Level-1i-Ambulanz aufsuchen zu können. Folglich besteht die Gefahr, dass anfangs harmlos erscheinende Krankheitsbilder verschleppt und sich zu ernsten, lebensbedrohenden Krankheiten entwickeln können.

So kann sich ein anfangs harmloser Katzenkratzer oder Katzenbiss über Nacht in eine Phlegmone bis hin zur Sepsis oder Blutvergiftung entwickeln. Ein Treppensturz mit kleiner Platzwunde und einigermaßen erträglichen Kopfschmerzen kann sich über Nacht zu einer lebensbedrohlichen Hirnblutung entwickeln. Ein sich langsam verstärkender Unterbauchschmerz kann sich zum entzündeten und schließlich geplatzten Blinddarm oder Dickdarmdivertikel entwickeln.

Nicht selten ist es auch ein Sturz mit dem Fahrrad auf den Fahrradlenker, der sich als ein Milz- oder Leberriss mit innerer Blutung herausstellen kann.

In diesen Fällen ist es fatal, wenn den Menschen die Möglichkeit genommen wird, sich, wie bisher, einigermaßen niederschwellig, Tag und Nacht Hilfe suchen zu können.

Es gibt in der Medizin nicht nur Herzinfarkte oder Schlaganfälle, Herr Lauterbach, Herr Busse, Herr Augurzky!

Menschen in Not reagieren nicht immer rational, sie sind keine medizinischen Experten. Deshalb ist der Vorwurf des Missbrauchs der Notfallmedizin in Bagatellfällen absurd und verächtlich.

In der von Ihnen geplanten Zukunft werden sich die Menschen dann dem Vorwurf ausgesetzt sehen: „Ja, warum kommen Sie denn erst jetzt?“

Auch der Caritasverband Berlin formuliert: „Kommt die Krankenhausreform wie bisher vorgesehen, werden wir ein bisher unbekanntes Ausmaß an Verschlechterung in der Versorgungssicherheit erleben. Viele Krankenhäuser werden schließen müssen. Bürger*innen werden lange Fahrten zu Krankenhäusern in Kauf nehmen müssen. Vor Ort wird es zu erheblichen Wartezeiten kommen.“

Es werden Krankheitsbilder verschleppt, Menschenleben gefährdet.

Ich fordere Sie daher auf, Herr Minister, die Reform an die Bedürfnisse der Bürger*innen anzupassen. Die Menschen brauchen ihr wohnortnahes Krankenhaus, an das sie sich vertrauensvoll bei Tag und Nacht wenden können.

Proteste in Hirschhorn und Friedrichshafen gegen die Krankenhausreform (1)

Straßenaktion und Infostand in Hirschhorn

Vergangenen Sonntag protestierten der DGB Hirschhorn-Neckarsteinach, der Ortsverband Hirschhorn des VdK und das Bündnis für Krankenhaus und gute Arbeit Neckartal-Odenwald mit einem Infostand beim Flohmarkt in Hirschhorn für einen grundlegenden Richtungswechsel im Gesundheitswesen und informierten über ihre Arbeit.

Unter anderem warben sie für die Unterstützung der Proteste, zu denen die Gewerkschaft ver.di anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz 2023 am 5. Juli in Friedrichshafen am Bodensee aufrief. Zur von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ausgerufenen „Revolution“ erklärt die Gewerkschaft ver.di: „Richtig so! Das deutsche Gesundheitswesen braucht in der Tat grundlegende Veränderungen. Die Gesundheitsminister*innen des Bundes und der Länder müssen ihre Politik neu ausrichten. Für uns ist die Richtung klar: Gemeinwohl statt Profit. Solidarität statt Wettbewerb.“ In dem Mobilisierungsflyer appellierte ver.di für die einzelnen Bereiche der Daseinsvorsorge in der Gesundheit:

Für die Krankenhäuser fordern wir: Das gesamte Budget der Kliniken mit den Personalkosten aller Berufsgruppen muss raus aus dem Finanzierungssystem der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG)! Die tatsächlichen Kosten müssen bei wirtschaftlicher Betriebsführung voll erstattet werden. Die DRGs gehören abgeschafft. Zudem müssen die Länder ihrer Verpflichtung zur Finanzierung von Investitionen der Krankenhäuser endlich umfassend nachkommen. Bettenabbau und (Teil-)Schließungen aus rein wirtschaftlichen Motiven müssen unterbleiben.

Die von ver.di, dem Deutschen Pflegerat und der Deutschen Krankenhausgesellschaft vorgelegte Personalbemessung für die Krankenpflege, PPR 2.0, muss rasch verbindlich eingeführt werden. Sollte der Bundesfinanzminister sein Veto einlegen, gibt es Ärger! Die Qualität der Pflege darf sich nicht nach der Kassenlage richten. Es braucht endlich Vorgaben für die Anzahl des Personals, die sich am tatsächlichen Bedarf orientieren, und zwar für alle Berufsgruppen im Krankenhaus. Alle ausgegliederten Bereiche gehören in die Kliniken zurück. Ein Betrieb, eine Belegschaft, ein Tarifvertrag!

Für die Psychiatrien fordern wir: Die Personalvorgaben der PPR-RL müssen endlich zu 100 Prozent verbindlich, Verstöße bestraft werden. Derzeit wird die Mindestausstattung nur zu durchschnittlich 78 Prozent eingehalten. Die längst überholten Mindestvorgaben müssen dringend an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Behandlungsbedarfe angepasst werden.

Auch in psychiatrischen Einrichtungen muss überall gelten: ein Team – ein Tarifvertrag! Und es gilt weiterhin die Forderung: Keine Nacht allein!

Für die Altenpflege fordern wir: Verbindliche und bedarfsgerechte Personalbemessung – einheitlich von der Nord- und Ostsee bis zum Bodensee. Denn der Bedarf für gute Pflege unterscheidet sich nicht nach Wohnort.

Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zur Solidarischen Pflegegarantie: Alle Bürger*innen beteiligen sich entsprechend ihres Einkommens an der Finanzierung und haben Anspruch auf Erstattung aller pflegebedingten Kosten.

Flächendeckende Anwendung von Tarifverträgen.

Versorgungsverträge nur mit kommunalen oder gemeinnützigen Pflegeeinrichtungen.

Für die Reha-Einrichtungen fordern wir: Volle Refinanzierung von Tarifverträgen. Denn die Bezahlung muss sich dringend verbessern, um Beschäftigte zu gewinnen und zu halten.

Auch in der Rehabilitation braucht es bedarfsgerechte und einheitliche Personalvorgaben.

Für den Rettungsdienst fordern wir: Runter mit den Höchstarbeitszeiten! Der Staat als Arbeitgeber muss im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) dem Vorbild des DRK-Reformtarifvertrags folgen

ver.di in Friedrichshafen: „Gemeinwohl statt Profit – Solidarität statt Wettbewerb“

Foto: Arno vom „Bündnis für Krankenhaus und gute Arbeit Neckartal-Odenwald“ und Joachim von „Rettet unser Rosmann-Krankenhaus Breisach e.V.“ mit der Fahne des bundesweiten Zusammenschlusses „Bündnis Klinikrettung“ bei „Gemeingut in BürgerInnenhand“.

Am Morgen des 5. Juli 2023 vor der Demo anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz liegt in einem Café in Friedrichshafen die Schwäbische Zeitung aus mit dem Aufmacher: „Kretschmann befürwortet Krankenhausschließungen“. In dem Beitrag werden ein paar Gemeinplätze Kretschmanns zitiert, die aber an der Alltagswirklichkeit kleiner Krankenhäuser im ländlichen Raum und den Bedürfnissen vieler Patient*innen vorbeigehen. Sie lassen sich aber billig verkaufen: „Wir dürfen keine Krankenhäuser erhalten, in denen sich kaum jemand operieren lässt.“ Und weiter: „Wenn ein örtliches Krankenhaus schließen soll, unterschreiben 90 Prozent der Menschen für den Erhalt. Wenn sie aber selbst eine größere Operation benötigen, suchen sie sich ein Krankenhaus aus, das darin besonders gut ist.‟  Damit wirft der baden-württembergische Ministerpräsident, der einmal mit dem Anspruch einer „Politik des Gehörtwerdens“ sein Amt angetreten hatte, mit Schmutz auf kleinere Krankenhäuser, um anschließend abwertend sagen zu können: Schaut sie Euch an!

Gegen 12 Uhr formiert sich dann der Demonstrationszug, zu welcher der Fachbereich Gesundheit der Gewerkschaft ver.di aufgerufen hat. Bevor die Demo loszieht, treffen Aktivisten aber noch mit einer szenischen Aufführung die Stimmung der Protestierenden: Wettbewerb, DRG-Pauschalen, Aktiengewinne, Profite, Dividenden und Konkurrenz werden „über die Planke“ geworfen und die Krankenhausreform als eine Mogelpackung entlarvt. Dann ziehen etwa 500 Protestierende lautstark los. Sie halten Fahnen und viele Transparente mit kreativen Sprüchen hoch.

Die kämpferische Demo zieht durch Friedrichshafen zum Graf-Zeppelin-Haus, wo der erste Konferenztag der Gesundheitsministerkonferenz am 5. und 6. Juli stattfindet. Die Kundgebung findet auf dem Platz vor dem Konferenzhaus statt: verschiedene Redebeiträge von Beschäftigten in den verschiedenen Bereichen, von der Jugend bzw. Auszubildenden, vom Marburger Bund, ein Solidaritätsbeitrag von der IG Metall Friedrichshafen usw. Aus Dresden trifft ein Konvoi mit etwa zwanzig Radfahrern ein. Die Aktion SOS berichtet, an die Gesundheitsministerien Gefährdungs- und Überlastungsanzeigen aufgrund der prekären personellen Situation an den Arbeitsplätzen geschrieben zu haben. Kritik wurde auch am Plan des baden-württembergischen Gesundheitsministers Manfred Lucha laut, eine Pflegekammer mit Zwangsmitgliedschaft für die Beschäftigten in der Pflege einzuführen.

Zwischenrein eine auflockernde Wasseraktion von etwa 25 Badenden im Bodensee unter dem Motto „Notruf vom See“.

Schließlich holte das für Gesundheitspolitik zuständige ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler zu einem Rundumschlag gegen die von Lauterbach geplante Krankenhausreform aus. Sie forderte eine flächendeckende, bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung, gute Arbeitsbedingungen, mehr Personal und bessere Löhne.

Das Gesundheitswesen solle solidarisch finanziert werden. Angesichts der Inflation und der akuten Finanznot der Krankenhäuser mahnte Bühler ein Vorschaltgesetz an: Kliniken müssten jetzt ausreichend finanziert werden, damit sie nicht in die Insolvenz getrieben werden. Es dürfe keinen kalten Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft durch die Hintertüre geben.

Eine Revolution im Gesundheitswesen, wie sie Lauterbach ausgerufen hatte, sei gut, davon sei aber noch nichts zu spüren. Erforderlich sei eine Abkehr von der Ökonomisierung. Die DRG-Fallpauschalen dürften nicht nur angebohrt werden, sondern gehören vollständig abgeschafft. Und die Landesgesundheitsministerien müssten ihrer Pflicht zur Finanzierung der Investitionskosten nachkommen. Die Politik dürfe nicht weiter Vertrauen verspielen, die Menschen benötigten Sicherheit. Darauf verwiesen wurde auch, dass daneben noch gleichzeitig ein kleine Gruppe Querdenker*innen demonstrierte.

Sylvia Bühler erklärte ihr Entsetzen, dass der Posten Gesundheit im Bundeshaushalt 2024 um 8 Milliarden Euro (und damit wieder unter das Niveau im Jahr 2019 vor Corona) gekürzt werde. Gesundheitsminister Lauterbach verstecke sich hinter Finanzminister Lindner. Dabei werde aber dringend Geld benötigt, um die Transformation im Gesundheitswesen, in der Digitalisierung, in der Personalgewinnung usw. voranzutreiben. Bühler forderte die Landesgesundheitsminister auf, an einem Strang zu ziehen. Alle Personalkosten müssten refinanziert werden, die Aufspaltungen der Belegschaften in den Krankenhäusern durch Ausgliederungen usw. beendet werden. Es gelte: ein Tarifvertrag für alle Beschäftigtengruppen in einem Betrieb.

Markt und Wettbewerb hätten unser Gesundheitssystem zerstört. Bühler wiederholte daher die Forderung: „Gemeinwohl statt Profit – Solidarität statt Wettbewerb“. Die Politik habe die Verantwortung, Personal zu gewinnen, indem sie den Rahmen für gute Arbeitsbedingungen schaffe.

Schließlich stellten sich noch die Gesundheitsminister*innen den Protestierenden. Sie wurden mit einem Pfeifkonzert und Buh-Rufen empfangen (links Sylvia Bühler vom Fachbereich Gesundheit bei ver.di sowie die Gesundheitsminister Lucha und Lauterbach am Rednerpult, dahinter Karl-Josef Laumann aus Nordrhein-Westfalen, rechts Klaus Holetschek aus Bayern). Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha bezeichnete die Krankenhausreform als eine Gelegenheit, eine Zukunftsstruktur zu schaffen. Und zu dem lautstarken Widerspruch aus der Versammlung meinte Lucha: „Mit dieser Grundhaltung werden wir diese Herausforderung nicht schaffen.“ Es gelte „bedarfsgerechte Organisationsformen zu finden für Patienten und Personal“.

Karl Lauterbach drängte: Wenn es jetzt zu keiner Reform komme, dann werde der Spuk weiter gehen. Seine widersprüchliche Versicherung, die Fallpauschalen abschaffen zu wollen, indem 60 % der Kosten über das Vorhaltebudget, aber trotzdem noch 40 % „über Fälle“ finanziert würden, konnte er nicht glaubhaft erklären: dies würde doch den Druck massiv runter nehmen. „Wer aber 40 % nicht schafft, hat keine Daseinsberechtigung“. Ohne Reform käme es zu einem unkontrollierten Krankenhaussterben. Mit erhobenem Daumen verabschiedete er sich.

Sylvia Bühler erwiderte, dass das Gesundheitswesen kein Markt sein dürfe, Daseinsfürsorge müsse sich nicht rechnen.

 

Nachtrag: „Sondervermögen Krankenhäuser“

Am Tag vor der Demonstration war bekannt geworden, dass alle Posten im Bundeshaushalt 2024 gekürzt werden sollen, ausgenommen der Verteidigungshaushalt. Besonders betroffen ist der Posten Gesundheit: standen 2023 dafür noch 24,5 Milliarden Euro zur Verfügung, sind für 2024 nur noch 16,2 Milliarden vorgesehen, was eine Kürzung um ein Drittel bzw. 8,3 Milliarden Euro bedeutet. Lauterbach steht damit als Verlierer da. Dieser Gesundheitsetat liegt damit zwar noch über dem Vor-Corona-Niveau von 2019, als 15,3 Milliarden bereitgestellt worden waren, was für 2024 gegenüber 2019 eine Steigerung von nicht ganz 6 % bedeuten würde. Allerdings wird die kumulierte Inflation in diesem Zeitraum mindestens 17 bis 21 % betragen, hinzu kommen während dieser Zeit zahlreiche Verwerfungen im Gesundheitsbereich, sodass für die Krankenhäuser im Jahr 2023 ein Defizit von grob 10 Milliarden Euro erwartet wird und eine Insolvenzwelle droht. Von daher ist bis zur Klärung der Krankenhausreform ein „Sondervermögen Krankenhäuser“ dringend notwendig. Sowieso sind die meisten Ausgaben im Posten Gesundheit üblicherweise Zuschüsse zur GKV (vielleicht rund 90 %), sodass für Krankenhäuser kaum etwas übrig bleiben würde.

Die gegenüber 2023 gekürzten 8,3 Milliarden Euro werden dringend als Überlebenshilfe für die Krankenhäuser benötigt. 8 Milliarden sind aber ziemlich genau auch der Betrag, welche die Bundesregierung für die Anschaffung von 60 Chinook-Transporthubschraubern aus den USA und die dafür benötigte Infrastruktur ausgeben will, zu bezahlen mit den „Sondervermögen Bundeswehr“ genannten Sonderschulden. (Nebenbei zur Diskussion um kulturelle Aneignung: „Chinook“ ist ein nordamerikanisches indigenes Volk). Wenn 8 Milliarden Euro für die Anschaffung von Militärhubschrauber da sind, sollten auch 8 Milliarden zur Rettung unserer Krankenhäuser da sein. Es sollte nicht vergessen werden, dass unser gesamtes gesellschaftliches Leben während der Corona-Pandemie von den Kapazitäten der Krankenhäuser abhängig gemacht und ihnen untergeordnet wurde.

In einer Pressemitteilung vom 6.7.2023 erklärt die Aktionsgruppe „Schluss mit Kliniksterben in Bayern“ ihre Fassungslosigkeit über die Kürzungen beim Einzelplan Gesundheit im Bundeshaushalt: Seit Monaten propagiere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, Ziel der Krankenhausreform sei es, unnötige Klinikschließungen zu vermeiden und flächendeckend eine qualitativ hochwertige Versorgung auch in ländlichen Regionen sicherzustellen. „Das Gegenteil ist der Fall: Die Quote insolvenzgefährdeter Krankenhäuser war noch nie so hoch wie  heute. Die Krankenhäuser schreiben bundesweit stündliche Defizite im Umfang von –572.322 € … Das ist Wahnsinn! Wer jetzt im Bundeshaushalt die Mittel um 33 Prozent kürzt und kein Geld für Soforthilfeprogramme für Krankenhäuser zur Verfügung stellt, der braucht keine Krankenhausreform mehr, und der wird vor dessen Umsetzung massenweise Insolvenzen und Klinikschließungen erleben.“ Die Aktionsgruppe beklagt: „Diese Mangelwirtschaft dient weiteren Klinikschließungen.“

„Herr Bundeskanzler Olaf Scholz, Herr Bundesfinanzminister Christian Lindner: Der Bundeshaushalt 2024 ist ein Anschlag auf die Gesundheit der Ihnen anvertrauten Bevölkerung und ein Anschlag auf das engagierte Klinikpersonal. Haben Sie den hervorragenden Einsatz der Krankenhäuser in der Pandemie vergessen?“

Keine Wahlempfehlung: Johann Martel (AfD)

Keine Wahlempfehlung für Walldürn: Bürgermeisterkandidat Johann Martel (AfD)

Siehe ausführlich: https://mosbach-gegen-rechts.de/profil-kandidat-johann-martel/

Eigentlich könnte „Mosbach gegen Rechts“ die Bürgermeisterwahl in Walldürn am 9. Juli 2023 egal sein, wenn der dritte Kandidat Johann Martel nicht seit März 2019 Kreisvorsitzender der AfD Neckar-Odenwald-Kreis wäre und wenn die Bürgermeisterwahl dessen letzte politische Ambition bleiben würde. 2019 hatte er aber schon bei den Kommunalwahlen kandidiert, 2021 bei den Landtagswahlen und für einen Listen- und Erststimmenplatz bei der AfD für die Bundestagswahl. Der AfD-Kreisvorstand scheint zudem bewusst entschieden zu haben, dass Martel weniger als Person, sondern „als AfD-Kandidat“ antritt.

Einmal mit Protagonisten der inzwischen aufgelösten rechtsextremen AfD-Strömung „der Flügel“, einmal mit der Rechtspopulistin Alice Weidel.

Johann Martel lässt sich schwer in eine Schublade seiner Partei stecken. So sympathisiert er einerseits mit rechtsextremen, völkischen Exponenten der inzwischen aufgelösten AfD-Strömung „der Flügel“, andererseits lud er auch schon eher rechtskonservative AfD-Politiker ein, und bei der Aufstellung der Landesliste für die Bundestagswahl 2021 schloss er sich dem Team der rechtspopulistischen Parteivorsitzenden Alice Weidel (früher Investmentbankerin bei Goldman Sachs und bei der neoliberalen, rechtslibertären Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft) an.

Johann Martel fällt immer wieder durch politische Unerfahrenheit auf. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum er als Bürgermeister lieber „zuhören“ würde, als sich direkt in die Nesseln zu setzen. 2018 likte er einmal eine Fantasie, welches ein Frauengesicht unter einem Stahlhelm zeigt mit dem Titel „Wir sind Germanen, wir geben nie auf“. Im Oktober 2018 teilte er von einer AfD-Veranstaltung in Möckmühl mit dem Rechtsextremen André Poggenburg mit: „Hallo …, es ist eine Veranstaltung bei uns in Möckmühl. Wir versuchen jetzt das Volk wach zu bekommen, um unser Land zurück zu holen.“

Vielleicht ist das auch seine Motivation dafür, dass er als Bürgermeister unterbinden würde, dass die zivilgesellschaftliche Initiative „Herz statt Hetze Neckar-Odenwald“ weiterhin an Walldürner Schulen ihre Projekte anbieten könne. Die Initiative, die „für eine offene Gesellschaft“, „für Menschen, für Toleranz, für Freiheit und Demokratie“ eintritt, wurde von Martel als „linksradikal“ denunziert, sie fördere „LGBTQ-Ideologie und antideutsche Ressentiments“ und würde die Gesellschaft spalten.

Einerseits hatte Martel schon Vera Kosova (Juden in der AfD) mit ihren rechtszionistischen Positionen eingeladen, andererseits in sozialen Medien aber auch antisemitische Verschwörungsmythen wie beispielsweise das hetzerische Video „Viele Migranten sind bezahlte Söldner“ aus dem Jahr 2016 gelikt, welches das Narrativ vom „großen Austausch“ bzw. von „Umvolkung“ aufgreift und Migranten als eine bedrohliche gewalttätige Masse entmenschlicht darstellt.

Im Januar 2020 befand sich Johann Martel in Gesellschaft der AfD-Rechtsaußen Stefan Räpple, Dubravko Mandic und Dirk Spaniel bei einer Veranstaltung gegen die „Lügenpresse“ vor dem SWR in Baden-Baden. Räpple sprach von „linksextremen Medienleuten“, denen Mandic vorwarf zu lügen und „dass an ihren Händen Blut klebt“. Mandic drohte: „Dereinst werden sie für ihre Verbrechen zahlen müssen.“ Anderthalb Monate später reiste Martel aus Solidarität zum Gerichtsprozess in Berlin gegen den rechtsextremen Youtuber Tim Kellner, welcher die SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli als „Quotenmigrantin der SPD“ und als „islamische Sprechpuppe“ beleidigt hatte.

Ein großes Vorbild ist für Martel sicherlich auch der Thüringer AfD-Chef und Protagonist der rechtsextremen Strömung innerhalb der AfD Björn Höcke. Immer wieder bricht dieser gezielt politische Tabus und provoziert mit Andeutungen und Zitaten aus der NS-Zeit. So hatte Höcke beim Kyffhäuser-Treffen 2018 mit Anspielung auf ein Goebbels-Zitat gefragt: „Heute lautet die Frage: Schaf oder Wolf“ und unter Beifall gleich geantwortet: „Und ich, nein, wir entscheiden uns in dieser Lage Wolf zu sein.“ Derselbe Wolf im Schafspelz, Höcke, inszenierte sich während des aktuellen Kriegs Russland gegen die Ukraine vor einer Friedenstaube. Vor über zehn Jahren hatte Björn Höcke unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ für Blätter der NPD geschrieben und war am 13. Februar 2010 auf einer Demonstration an der Seite von Neonazis fotografiert worden.

Noch während der Corona-Zeit suggerierte auch Martel, dass in der Politik für die Zeit nach den Lockdowns der Corona-Zeit neue Einschränkungen der Grundrechte wegen des Klimawandels vorbereitet würden. Umweltschützer seien „Lobbyisten“, „die alle paar Jahre ein neues Weltuntergangsszenario finden“ wie beispielsweise den „Klimawandel“. Anders als alle wissenschaftliche Untersuchungen weiß Johann Martel: „Ob der Klimawandel menschengemacht ist oder nicht, ich glaube, das kann hier niemand beantworten“. Anstatt sich ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels und seinen verheerenden globalen Folgen für zukünftige Generationen auseinanderzusetzen, plappert Johann Martel lieber irgendwelche demagogischen Behauptungen seiner Partei, von Lobbyisten der fossilen Industrie und rechtslibertären Netzwerken nach. Daher lehnt er auch erneuerbare Energien wie die Windkraft ab.

Lassen wir nicht zu, dass die AfD ihre Androhung „Wir holen uns unser Land zurück!“ wahr macht! Wir brauchen keine blau-braunen Zonen wie im Osten Deutschlands, die für zahlreiche Menschen in ihrer Vielfalt das Leben schwer erträglich machen. Die Faschisierung des Alltags darf keine Normalität werden!

Gegen Hetze, Hass, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit! Für eine offene und solidarische Gesellschaft! Für ein gutes Leben für alle!

Fukushima-Jahrestag: Mahnwache in Mosbach und Demo zum AKW Neckarwestheim

Mahnwache am Freitag, 10. März 2023 (Vorabend des Fukushima-Jahrestags) um 17.30 Uhr auf dem Kirchplatz Mosbach

Die Initiative AtomErbe Obrigheim lädt für Freitag, 10. März 2023 um 17.30 Uhr (Vorabend des Fukushima-Jahrestags) zu einer Mahnwache mit kurzen Redebeiträgen auf den Kirchplatz oberhalb des Marktplatzes Mosbach ein. Die Initiative fordert:

– die sofortige und endgültige Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland und natürlich auch den weltweiten Atomenergie-Ausstieg

– einen Stopp der Klimazerstörung und die entschlossene Umsetzung der 3E+ (Energieeinsparung, Energieeffizienz und Erneuerbare Energien plus Speichertechnologien)

– die entschlossene globale Durchsetzung des Atomwaffenverbotsvertrags

 

 

Gemeinsame Fahrt zur Demonstration zum AKW Neckarwestheim am Samstag, 11. März 2023

Desweiteren wird für Samstag, 11. März (12. Jahrestag der Atomkatastrophe in Fukushima) zur Demonstration zum AKW Neckarwestheim aufgerufen mit dem Motto „Fukushima mahnt: Schluss mit Atom! Energiewende jetzt – weltweit!“

Der Auftakt ist um 13 Uhr vor dem Bahnhof Kirchheim/Neckar.

Hier der Aufruf: https://www.endlich-abschalten.de/aufruf . Hier der Ablauf: https://www.endlich-abschalten.de/programm .

Leute der Initiative AtomErbe Obrigheim wollen gemeinsam mit dem Zug ab dem Bahnhof Mosbach-Neckarelz zu der Demonstration anreisen, Treffpunkt zum Fahrkartenkauf ist ab ca. 11.30 Uhr, Abfahrt voraussichtlich 11.50 Uhr, Umsteigen in Bad Friedrichshall, Ankunft wäre um 12.43 Uhr in Kirchheim. Unklarheit besteht noch wegen möglicherweise geänderten Fahrtzeiten wegen einer Baustelle der Bahn. Erkundigt Euch deswegen vorher nochmals auf dieser Seite hier, ob sich etwas geändert hat.

Freitag, 3. März 2023: Klimastreik in Mosbach

Mosbach gegen Rechts und die Initiative AtomErbe Obrigheim unterstützen den
KLIMASTREIK IN MOSBACH
am FREITAG, 3. MÄRZ 2023,
Auftakt um 15:30 Uhr am Bahnhof Mosbach West,
veranstaltet vom Bündnis Klimaschutz NOK und Fridays for Future Mosbach.
Kommt alle und engagiert Euch für die Zukunft! Die Weltuntergangsuhr steht auf 90 Sekunden vor Mitternacht.

Thomas Schaupp erklärt unter anderem in einem Rundschreiben zu dem Aufruf:

Schon seit Jahren bekennen sich alle demokratischen Parteien Deutschlands zum Pariser Klimaziel von 1,5°C. Trotzdem musste der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seiner Aktualisierung zum CO2 Budget Deutschland letztes Jahr feststellen, dass das Budget für einen fairen Beitrag Deutschlands fast verbraucht ist. Nach der Projektion ist genau jetzt, im Frühjahr 2023 das Budget aufgebraucht. Das heißt ab jetzt brauchen wir das Budget weniger emittierender Länder auf. Die aktuell im Klimaschutzgesetz des Bundes definierten Maßnahmen führen ab jetzt zu einem Budgetbedarf von ca. 6,3 Gt CO2, die uns aber nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die Klimawissenschaft geht davon aus, dass mit der Einhaltung eines nationalen Budget von zusätzlich 6,3 Gt der Temperaturanstieg auf ca. 2°C begrenzt werden kann. Aber auch dieses Ziel scheint heute unerreichbar, denn kein Sektor erfüllt die Anforderungen des Klimaschutzgesetzes: Das Verkehrs- und das Bauministerium legen die gesetzliche geforderten Sofortmaßnahmen nicht vor und selbst die einfachsten Maßnahmen wie ein Tempolimit werden nicht umgesetzt.

Es muss uns allen bewusst sein, dass wir so weder das 1,5°C noch das 2°C erreichen werden und damit katastrophale Wetterereignisse … immer schlimmer und häufiger werden.

Daher fordert Fridays for Future wirkungsvollen Klimaschutz, der auch geeignet ist, die Ziele zu erreichen. Noch kann Deutschland dazu beitragen, auch 1,5°C zu erreichen, dafür müssen wir aber die eigenen Anstrengungen massiv erhöhen und gleichzeitig helfen, dass andere Länder schneller die CO2 Produktion vermeiden können.