Der oberste Beitrag auf der Startseite der Facebook-Seite der regionalen AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum (Stand 16.6.2019) stammt vom 15. März 2019, ist anders als die danach folgenden jüngeren Beiträge über ein Vierteljahr alt und soll ein Beitrag zu einem „Rentenkonzept“ der AfD sein. Die beiden baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Dr. Christina Baum und Emil Sänze verlangen darin ein „menschenwürdiges Leben im Alter“. Der Beitrag soll wohl ein vorangestellter Ausweis für die Sozialpolitikerin Dr. Christina Baum sein und demonstrieren, dass sie außer Hetze gegen Fremde, Muslime, Flüchtlinge, die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future, Gender-Ideologen, Lügenpresse und Systemparteien usw. auch etwas von Sachpolitik versteht.
Ein mehrfach geäußerter Vorwurf an Christina Baums und Emil Sänzes „Stuttgarter Cappuccino-Modell“, es sei von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung KAB oder den Niederlanden geklaut, ist dabei unerheblich: warum nicht auf Bewährtes zurückgreifen? Gegen eine Aufwertung des Niveaus von geringen Renten habe ich nichts. Allerdings: auch wenn ich kein Renten-, Sozial-, Finanz- oder anderer Politiker bin, sollte der Renten-Flyer-Entwurf von Baum und Sänze (B+S) ausreichen, um seine Autoren als politisch inkompetent und Stümper zu charakterisieren.
Wichtigtuerisch tun B+S gerade so, als sei dieser Entwurf zweier untergeordneter Landtagspolitiker der offizielle Entwurf der AfD, wenn sie behaupten: „Gerechte Alterspension für alle – aus der AfD kommt die Lösung“. Beim aktuellen und vertagten Streit innerhalb der AfD zu einem Rentenkonzept der Partei stehen jedoch vor allem drei andere Modelle zur Diskussion: ein neoliberaler Entwurf von Meuthen, ein national-sozialer von Höcke und ein Niedrigrenten-Modell für Kinderarme von Kleinwächter – meines Wissens jedoch nicht eine Cappuccino-Rente nach B+S.
B+S konstatieren, dass es in Deutschland keine „Situation eines Mangels an Ressourcen“, sondern „an Gerechtigkeit“ gebe, was nebenbei bemerkt auch eine linke Partei festgestellt haben könnte. Sie führen dann drei Bestandteile einer „gerechten Altersversorgung für alle“ auf:
1. eine „existenzsichernde bedingungslose Sockelpension“
2. Ansprüche aufgrund der „Anerkennung der Lebensleistungen“ der Versicherten, darunter a) eine „Erwerbstätigenpension“, b) „Elternschaft der Erwerbstätigen“ als Ausdruck einer „Willkommenskultur für Kinder“ und c) ein Zuschlag für ehrenamtliches Engagement in Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (gemeint sind THW und Feuerwehr).
3. Erlöse aus privater Altersfürsorge
* Anmerkungen zu 1.
B+S setzen einen Sockelbetrag von 750 Euro an, das niederländische Vorbild hingegen 70 Prozent des Mindestlohnes plus Urlaubsgeld, was aktuell in den NL mindestens 950 Euro Netto für Alleinstehende sind. Die 750 Euro von B+S hingegen decken bestenfalls Hartz IV plus Miete ab (nicht jedoch bei einem hohen Mietniveau beispielsweise in Städten), sind kaum existenzsichernd und schon gar nicht für eine gesellschaftliche Teilhabe ausreichend.
* Anmerkungen zu 2.
B+S gehen von einem Rentenniveau (aus 1. und 2.) von mindestens 70 % für Normal-/Medianverdiener aus. Bei konkreten Zahlen zur Höhe der Rente/Pension bleiben sie jedoch unbestimmt: Was bedeutet dies zum Beispiel für Geringverdiener? Ob B+S sich als Politiker der (manchmal auch „Partei der kleinen Leute“ betitelten) AfD dazu auch nähere Gedanken gemacht haben?
Oder für Frauen: Wissen B+S nicht, dass Frauen in ihrer Erwerbsbiografie im Schnitt zusammenaddiert deutlich weniger Einkommen angesammelt haben, was sich auch auf ihr Rentenniveau auswirkt. Wollen B+S dies nicht berücksichtigen? (Scheiß Gender und Gleichstellungspolitik – nicht wahr, Frau Baum? Stand August 2016: Frauen der Jahrgänge 1950-1964 haben im Erwerbsverlauf durchschnittlich 49,8 % weniger Einkommen angesammelt als Männer)
* Kleine Schlamperei nebenbei bei der Wertschöpfungsabgabe:
Finanzieren wollen B+S den Sockelbetrag über eine Wertschöpfungsabgabe. Anscheinend immer noch nicht gemerkt haben B+S, dass diese auf S. 16 ihres Flyers den Arbeitnehmeranteil bei der gesetzlichen Rentenversicherung substituieren soll, auf S. 14 jedoch den Arbeitgeberanteil, was also? Zumindest macht dies auf dem Gehaltszettel der versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer einen Unterschied aus. Zudem: Berücksichtigt die Wertschöpfungsabgabe und die Finanzierung des Rentenmodells auch Kapitalerträge und -vermögen und ähnliches – und wenn nein, warum nicht?
* Anmerkung zu 2.b) und c)
B+S wollen die Erziehungs-/Betreuungsleistung von Eltern anerkennen. Unbeantwortet bleibt, ob und wie der jeweilige Anteil von Erziehungs- bzw. Betreuungsleistung bei nichtverheirateten Paaren gemessen wird, wie messe ich den Anteil von Vater bzw. Mutter, wie bei biologischer oder sozialer Vater- und Mutterschaft, wie bei homosexuellen Ehen, Partnerschaften und anderen Bezugspersonen und Lebensgemeinschaften mit Kindern? Schließlich lehnt die AfD ja eine „Ehe für alle“ ab. Da ist es doch bequem, undifferenziert Sprüche und Phrasen gegen die „Gender-Ideologie“ zu klopfen und an Ressentiments anzuknüpfen.
B+S treffen keine Aussagen zur Berücksichtigung von Pflegezeiten, zum Beispiel von Behinderten, Kranken, Alten usw. in der Familie oder anderswo. Einen Aufschlag wollen B+S nur für Engagement bei THW und Feuerwehr gewähren, dabei ließen sich auch zahlreiche weitere Beispiele ehrenamtlichen oder gering vergüteten gemeinnützigen Engagements in Gesellschaft, Kultur, Sozialem, Betreuung usw. finden.
* Anmerkung zu 3.
Weitere Erlöse aus privater Altersfürsorge nützen auch nur denen, die genug übrig hatten, etwas zu sparen. Wissen B+S, ob die Welt- und nationale Wirtschaft und die Kapitalmärkte diese private Altersvorsorge auch über Jahrzehnte hinweg garantieren können? Oder muss letzten Endes dann doch der Staat einspringen – und vielleicht macht er es auch nicht –, Hauptsache der Aktienmarkt wurde bedient? Schon seit einiger Zeit werden Riester-Produkte nicht mehr so offensiv beworben (warum wohl).
Zum Schluss ein anderer Vorschlag (gilt auch für Politiker anderer Parteien):
Warum nicht ein allgemeiner steuerfinanzierter Sockelbetrag, beispielsweise bei Singles mindestens 1.200 Euro netto monatlich als menschenwürdige Mindestrente (Stand 2019, anzupassen an Preissteigerungen), die auch jedem und jeder gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht? In einem anderen Rahmen kann dann noch erörtert werden, wie weitere Details aussehen: beispielsweise die Ausgestaltung weiterer Stufen bzw. Bestandteile der Gesamtrente oder die Umlage des bisherigen (letztlich vom Arbeitnehmer erarbeiteten) Arbeitgeberanteils bei der Rentenversicherung auf den zu versteuernden Bruttolohn des Arbeitnehmers usw.