Keine Alternative: die AfD in Baden-Württemberg

Nach einem Vortrag von Lucius Teidelbaum

Anfang Mai holte die Initiative „Mosbach gegen Rechts“ den Vortrag mit Lucius Teidelbaum nach, der im März wegen des Bahnstreiks kurzfrisitig abgesagt worden war. Anlass für den Vortrag waren die bevorstehenden Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni. Rund 30 Leute fanden sich dazu in den Räumlichkeiten des Kooperationspartners – das ver.di Bildungszentrum Mosbach – ein und folgten anderthalb Stunden dem gut strukturierten Vortrag „Keine Alternative: die AfD in Baden-Württemberg“ unter dem Motto „rechtsaußen → linksunten“, der trotz der Länge kurzweilig blieb. An den Vortrag über Strukturen, Inhalte und Konflikte in der AfD Baden-Württemberg schloss sich noch eine rege Diskussion und ein Austausch über die AfD im Neckar-Odenwald-Kreis an.

 

Baden-Württemberg als westdeutsche Hochburg rechter Parteien

Eingangs stellte Teidelbaum fest, dass die AfD in Baden-Württemberg in Wahlergebissen und -umfragen ihre westdeutsche Hochburg hat und sich hier aktuell um die 20 % bewegt (aktuell Mitte Mai nur noch um die 15 %). Schon bei den Landtagswahlen 2016 hatte sie in Baden-Württemberg zwei Direktmandate erzielt, und zwar in Mannheim-Nord und Pforzheim. Ihre Erfolge stehen damit in einer Kontinuität mit der NPD, die 1968 bei der Landtagswahl 9,8 % bekommen hatte, und den Republikanern mit 10,9 % im Jahr 1992 und 9,1 % vier Jahre später. Baden-Württemberg ist damit das einzige Bundesland, in welchem die Republikaner zwei Mal in den Landtag einzogen waren – vielleicht auch weil es ihr Stammland war und der Bundesvorsitzende Rolf Schlierer aus Stuttgart stammt. Erst 2001 scheiterten die Republikaner mit immerhin noch 4,4 % an der Fünf-Prozent-Hürde. Bei den Landtagswahlen 2016 erzielte die AfD 15,1 % der Stimmen, während sie 2021 auf 9,7 % fiel.

Exkurs: „extreme Rechte und Übergänge“

In einem Exkurs unterteilte Teidelbaum die politische Rechte grob in vier Strömungen: zum einen die konservative Rechte, dann die antidemokratisch ausgerichtete „extreme Rechte“, welche auf die Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie ziele, zudem die marktradikale Rechte, welche zumindest in Teilen das Prinzip der Gleichheit verletzten wollenbeispielsweise möchte Markus Krall den Empfängern von Transferleistungen das Wahlrecht entziehen –, und zuletzt die christliche Rechte.

Die „extreme Rechte“ sei gekennzeichnet durch eine autoritäre Ausrichtung, auch wenn sich viele AfD-Anhänger formal als Demokraten verstehen, sowie durch die Zielsetzung einer ethnisch, kulturell und politisch homogenen Gesellschaft.

Teidelbaum sieht vor allem drei Gefahren, die von Rechtsextremen ausgehen. Sie instrumentalisieren gesellschaftliche Konfliktfelder wie Wohnen, Arbeit, Renten usw. für ihre Zwecke. Zudem üben sie psychische und tätliche Gewalt aus bis hin zum Rechtsterrorismus. Auf einer niedrigen Ebene beginne diese Gewalt durch Drohungen oder durch Shitstorms eines Online-Mobs; Betroffene seien insbesondere Migrantinnen und Migranten sowie Frauen. Und sie arbeiten auf die Machtergreifung oder zumindest Machtbeteiligung hin. Eine Option der Durchsetzung ist dabei – neben Wahlen – auch die Möglichkeit eines Putsches nach der Destabilisierung der demokratischen Ordnung an einem „Tag X“, wonach sich diese Kräfte sich als neue Ordnungsmacht durchsetzen wollen. Teidelbaum verweist beispielsweise auf den Sturm einer aufgestachelten Meute von Gefolgsleuten des abgewählten US-Präsidenten Trump auf das Capitol im Januar 2021 und von Anhängern des abgewählten brasilianischen Präsidenten Bolsonaro auf staatliche Institutionen im Januar 2023.

Die AfD als extrem rechte Partei

Seit ihrer Gründung im Jahr 2013 hat sich die AfD thematisch und inhaltlich sukzessiv nach rechts verschoben. Etliche Führungspersönlichkeiten haben daher die Partei verlassen. Die AfD schafft es dabei, den Diskurse in der Gesellschaft zu verschieben und verbal zu eskalieren. Als Beispiel zitiert Teidelbaum eine Formulierung aus dem Landtagswahlprogramm der AfD aus dem Jahr 2016: „Die AfD lässt sich davon nicht einschüchtern. Sie ist die einzige demokratische Kraft, die dem schrankenlosen Einwanderungswahn und der Willkommensdiktatur der Altparteien widersteht und auch auf diesem Gebiet wirkliche Opposition leistet.“ Mit der Ausmalung und Behauptung solch drastischer Zustände wird dann schnell unter Bezug auf Artikel 20 Grundgesetz zum „Widerstand“ aufgerufen.

Die AfD führt einen Kulturkampf gegen das, was sie als Linksliberalismus ansieht, und denunziert die Ampel- bzw. früher die Merkel-Regierung und insbesondere die Grünen als „Deutschlandabschaffer“. Nicht sich selbst, sondern den anderen, zum Beispiel den Grünen, unterstellt sie Totalitarismus. Die AfD bedient sich dabei verschwörungsideologischer Erzählungen: die anderen Parteien wollten absichtlich Schaden anrichten und dahinter stecke ein geheimer Plan.

Die Aufstellung und „Machtzentren“ der AfD Baden-Württemberg

Anfang 2024 zählte der Landesverband rund 5.400 Mitglieder, während es bundesweit etwa 41.000 sind – mit steigender Tendenz: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mitglieder-zahlen-parteien-in-bw-100.html. Der AfD-Landtagsabgeordnete Ruben Rupp nennt am 9. Mai 2024 sogar einen neuen Rekord von „mehr als 6.000“ AfD-Mitgliedern ( https://www.facebook.com/photo?fbid=830143289135013&set=a.639116438237700 ).

Der Landesverband organisiert sich in Kreisverbände, wobei der KV Göppingen Vorbild-Charakter habe, während der KV Tübingen relativ inaktiv sei. Orts- und Stadtverbände seien eher schwach aufgestellt. Zur Aufstellung der AfD für die Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 siehe auch https://www.staatsanzeiger.de/nachrichten/kreis-und-kommune/afd-ist-mit-kandidaten-in-der-flaeche-wenig-vertreten/

Bekannt sind elf Büros von Landtagsabgeordneten bzw. des Landesverbandes der AfD in Baden-Württemberg, die aber eher wenig ausgewiesen sind. So unterhalten in Heilbronn die Landtagsabgeordneten Denis Klecker (davor Rainer Podeswa), Carola Wolle und früher Thomas Axel Palka ein Büro. Hinzu kommen vier Büros von Bundestagsabgeordneten, von denen das von Thomas Seitz in Lahr nach dessen Parteiaustritt wieder verloren ging. Diese Büros können auch Orte der Vernetzung oder des Austausches mit anderen Rechtsextremen wie zum Beispiel Identitären sein. MdB Malte Kaufmann betreibt ein Büro in Heidelberg, MdB Martin Hess in Ludwigsburg und MdB Dirk Spaniel in Stuttgart.

Pro Abgeordneten kommen geschätzt drei bis fünf Bürokräfte bzw. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hinzu, hochgerechnet etwa 200 bis 250 für die AfD in Baden-Württemberg. Nur die Abgeordneten des Europaparlaments müssen die Namen ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen offenlegen. Einziger baden-württembergischer Europaabgeordneter der AfD ist Joachim Kuhs von der Gruppe „Christen in der AfD“, nachdem Lars Patrick Berg aus Heidelberg 2021 aus der AfD austrat und sich zunächst den Liberal-Konservativen Reformern (LKR) und 2023 der neu gegründeten Partei „Bündnis Deutschland“ anschloss.

Gelegentlich gerieten manche Mitarbeiter von Abgeordneten oder der Fraktion der AfD in die Schlagzeilen. Beispielsweise Marcel Grauf, nachdem die Wochenzeitung Kontext 2018 aus seinem Chat zitiert hatte ( https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/371/sieg-heil-mit-smiley-5077.html ) und Grauf seither gegen die Zeitung klagt. Eine Mitarbeiterin des früheren Fraktionschefs Bernd Gögel ist die Rechtsanwältin Meike Hammer. Sie bewegt sich seit mindestens 25 Jahren in der rechtsextremen Szene und ist mit Steffen Hammer, dem Sänger der früheren Neonazi-Kultband „Noie Werte“, verheiratet ( https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.mitarbeiterin-mit-rechtsextremen-kontakten-afd-fraktion-in-erklaerungsnot.11a32aa9-a5ac-4a97-a18b-17d4a550e2fc.html ).

Ein „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ des für Rainer Podeswa nachgerückten AfD-MdL Denis Klecker soll Tobias Eckert sein. Dieser ist Fraktionschef der drei AfD-Kreisräte im Neckar-Odenwald-Kreis, ist in der Öffentlichkeit eher unauffällig, prägt aber die inhaltliche Arbeit der AfD-Kreistagsfraktion. Möglicherweise arbeitet Tobias Eckert im Büro der AfD in Heilbronn und ist das Bindeglied für die enge Zusammenarbeit der Kreisverbände. Vor kurzem versuchte er sich angesichts umstrittener Windkraftprojekte im Neckar-Odenwald (unter anderem im Waidachswald bei Schefflenz) zu profilieren ( https://www.afd-nok.de/1416/kreistag-april2024-windkraft/ ) und positionierte sich gleichzeitig mit plumpen Argumenten für Stromerzeugung aus Atomkraft.

Als „Machtzentren“ der AfD Baden-Württemberg machte Teidelbaum die Landtagsfraktion (17 Abgeordnete), den Landesvorstand und die Landesgruppe der Bundestagsfraktion (10 Abgeordnete) aus.

Die Junge Alternative (JA)

Im negativen Sinne als „erfrischend offen“ bzw. „nicht verdruckst“ rechtsextrem charakterisierte Teidelbaum die „Junge Alternative“ (JA), die Jugendorganisation der AfD. In einem Facebook-Post der JA Altmark in Sachsen-Anhalt Anfang des Jahres 2020 hatte diese sich selbst auf Rückgriff auf einen historischen Vorläufer als „Höckejugend“ bezeichnet. Ein weiteres Zitat aus der JA: „Wir sind stolz ein Teil des Systems Höcke zu sein“. Die baden-württembergische JA postete auch unverblümt hisichtlich der Correctiv-Recherche zum Treffen des österreichischen Identitären Martin Sellner mit verschiedenen rechtsradikalen Persönlichkeiten im Herbst 2023: „Remigration? Kein Geheimplan, sondern unser Versprechen!“

Im Neckar-Odenwald-Kreis verteilt die AfD ihre Wahlwerbungszeitung „Demokratie retten!“. Auf Seite 11 bekennt sie sich zum Programm „Remigration: Durchsetzung geltenden Rechts“ und versucht damit gleichzeitig Aussagen von führenden Politikern ihrer Partei zu verharmlosen. Denn nicht nur beim geheimen Treffen in Potsdam wurde vom österreichischen Identitären Martin Sellner der Plan zur Vertreibung oder Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland für den Fall einer Machtübernahme der AfD angekündigt. Auch der Möchte-gern-Führer Björn Höcke hatte bekannt: „Wenn man Recht und Gesetz … konsequent durchsetzt, würde das bedeuten, dass wir die Zahl der illegalen Migranten in Deutschland um einige Millionen reduzieren können. … Wir werden auch ohne Probleme mit zwanzig dreißig Prozent weniger Menschen in Deutschland leben können. ,.. Das ist ökologisch sogar sinnvoll tatsächlich darüber nachzudenken, dass die Bevölkerungsdichte nicht so hoch bleiben muss, wie sie im Augenblick ist. …“ Und der AfD-Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah hat in seinem Buch über ähnliche Pläne geschrieben. Anreize zur Rückkehr müsse man schaffen, heißt es darin. In Deutschland würden das „prognostisch über 25 Millionen Menschen sein, davon deutlich über 15 Millionen deutsche Staatsangehörige.“

Die JA zählt bundesweit rund 2.100 Mitglieder, davon etwa 260 in Baden-Württemberg, und wurde im Jahr 2023 vom Bundesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Sie hat im Südwesten keine flächendeckende Struktur und eine hohe Fluktuation. Für einige junge Leute ist sie Durchgangsstation für eine Parteikarriere (zum Beispiel Markus Frohnmaier). Überschneidungen finden sich mit deutschnationalen Burschenschaften. In Baden-Württemberg hat die JA allerdings keine eigene Universitätsgruppe mehr.

Die JA sucht die Nähe zum rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“ (IfS) von Götz Kubitschek in Schnellroda (Sachsen-Anhalt). Dort hat auch Björn Höcke seine ideologische Herkunft (Neue Rechte). Beispielsweise fuhr die JA Karlsruhe einmal zum IfS, um sich dort Inspiration zu holen und das dort erworbene Wissen weiterzutragen.

Das Vor- und Umfeld der Partei

Um erfolgreich Einfluss und die Macht zu gewinnen, ist es auch wichtig, den vorpolitischen Raum zu erobern und kulturell dauerhaft in der Gesellschaft zu verankern. Teidelbaum verweist auf die Publikation aus dem zum IfS gehörenden Antaios-Verlag „Die Partei und ihr Umfeld“ von Benedikt Kaiser.

Zu diesem Umfeld zählt die Pseudo-Gewerkschaft „Zentrum“ (früher „Zentrum Automobil“), die rechte Listen für Betriebsratswahlen zum Beispiel bei Daimler-Benz aufstellt und in letzter Zeit auch in der Branche Gesundheit und Soziales Fuß fassen möchte ( https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-04/zentrum-gewerkschaft-betriebsraete-rechtsextremismus ). Vordenker ist Oliver Hilburger, der aus der klassischen Neonazi-Szene stammt und zusammen mit Steffen Hammer und Michael Wendland 1987 in Stuttgart die Rechtsrockband „Noie Werte“ gegründet hatte. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD mit dem Zentrum war bald unterlaufen worden, unter anderem solidarisierte sich die AfD-Politikerin Dr. Christina Baum aus dem Main-Tauber-Kreis mit dem „Zentrum“.

Zwei Verlage in Baden-Württemberg stehen der AfD nahe. Zum einen der Kopp-Verlag in Rottenburg sowie der Gerhard-Hess-Verlag von Volker Münz in Uhingen ( https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/677/rechts-gebunden-9427.html ). Zu ihrem Programm gehört ein Sammelsurium aus verschiedenen rechten Strömungen, darunter auch rechtsesoterische. Münz, Joachim Kuhs und Volker Schmitt veröffentlichten 2020 das Buch „Mut zur Wahrheit. Warum die AfD für Christen mehr als eine Alternative ist“.

Zum Umfeld der AfD gehören beispielsweise auch die „Agentur Emporia“, die 2020 in Reutlingen gründet wurde und wahrscheinlich professionelle Werbearbeit für die AfD macht, sowie das korporierte Milieu, welches nicht unbedingt rechtsextrem ist, das aber aus konservativen Männerbünden besteht. Beispielsweise stammt der Rechtsextreme Dubravko Mandic ( https://de.wikipedia.org/wiki/Dubravko_Mandic ) aus der Freiburger „Burschenschaft Saxo-Silesia“. Vor kurzem gerieten auch der neu gewählte 22-jährige bayrische Landtagsabgeordnete Daniel Halemba, der lange Zeit in Wertheim im Main-Tauber-Kreis lebte, und seine „Würzburger Burschenschaft Teutonia Prag“ wegen rechtsextremer Vorfälle in die Schlagzeilen. Zu erinnern ist auch an die Skandale und einen antisemitischen Übergriff in der Heidelberger „Burschenschaft Normannia“. Der schon erwähnte Marcel Grauf gehörte der „Marburger Burschenschaft Germania“ an.

Hochburgen und Stammwähler und -wählerinnen

Bei der Frage nach Einflüssen auf das Wählerpotential der AfD weist Teidelbaum auf eine interessante These hin, die vielleicht noch tiefer untersucht werden sollte: In Gegenden, wo keine lokale Ausgabe einer Tagezeitung mehr existiert, würden die Leute etwas häufiger die AfD wählen (siehe https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/675/keine-lokalzeitung-mehr-afd-9414.html und https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/675/ohne-information-wirds-radikaler-9412.html ). Zwei Hochburgen der AfD in Pforzheim und Mannheim-Nord wurden bereits erwähnt.

Als Gruppen, die vermehrt für die AfD stimmern würden, zählt Teidelbaum beispielsweise Windkraft-Gegner*innen, Spätaussiedler*innen, Corona-Pandemie-Leugner*innen und christliche Konservative auf. Zudem bemühe sich die AfD um bestimmte Berufs- und Hobby-Gruppen wie Bauern und Bäurinnen, Jäger, Sportschützen oder passionierte Autofahrer*innen.

Ein hoher Anteil AfD-Wähler*innen würde sich auch unter Arbeiter*innen und gewerkschaftlich Organisierten finden. Stefan Dietl hatte dazu allerdings schon im November 2017 einen Vortrag gehalten (zu seinem damaligen Buch „Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und völkischem Antikapitalismus“ siehe https://stefandietl.net/ ). Zu einer teilweise abweichenden Schlussfolgerung kommt jedoch die von der Otto-Brenner-Stiftung veröffentlichte Untersuchung „Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland“, wonach „erlebte Handlungsfähigkeiten im Betrieb“ „antidemokratischen Einstellungen entgegen wirken könnte: https://www.otto-brenner-stiftung.de/arbeitswelt-und-demokratie-in-ostdeutschland/

Bezüglich geografischen Hochburgen besteht eine Stadt-Land-Kluft. In typischen Universitätsstädten wie Tübingen, Freiburg oder Heidelberg wird die AfD relativ wenig gewählt. Hochburgen finden sich hingegen in Stadt- oder Ortsteilen mit einem hohen Anteil an Spätaussiedlern und -siedlerinnen, zum Beispiel in Pforzheim-Haidach, in Heilbronn-Böckingen ( https://www.swp.de/afd-hochburg-heilbronn_-der-neid-der-spaetaussiedler-23668887.html ) oder Nürtingen-Roßdorf ( https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nuertingen-ein-drittel-der-rossdorfer-waehlt-afd.5b185e58-2f04-4138-bdf3-6ea5573ea53f.html ). Ein schlechteres Abschneiden hat die die AfD bisher in Südbaden.

Die AfD-Politikerin Dr. Christina Baum warb 2019 mit dem Motto „CoBместнo за нашу Германию“ bzw. „gemeinsam für unser Deutschland“ und „Hol Dir Dein Land zurück!“. Zu Christina Baum siehe auch der nicht aktualisierte Beitrag: https://mosbach-gegen-rechts.de/keine-wahlempfehlung-christina-baum/ Mittlerweile ist sie Bundestagsabgeordnete. Im Rahmen des Europawahlkampfs lud sie im Mai das rechtsextreme Magazin Compact mit seinem Herausgeber Jürgen Elsässer nach Wertheim, wo diese mitten auf dem Marktplatz die Abhaltung eines sogenanntes „Volksfest“ gerichtlich erstritten.

Löcher in der Brandmauer

Der CDU-Landeschef Thomas Strobl versprach im Juli 2023, dass „es keinerlei Zusammenarbeit oder Zusammenwirken mit der AfD“ geben werde. Hingegen widersprach ihm der stellvertretende AfD-Landesvorsitzende Emil Sänze eine Woche später: Strobl täusche die Bürger; die CDU-Basis arbeite schon länger kommunal mit der AfD zusammen.

AfD-interne Streitigkeiten in Baden-Württemberg

In der AfD gibt es interne Streitigkeiten, die teilweise in Hass, gegenseitige Beschimpfungen und Denunzierungen und schmutzige Auseinandersetzungen ausarten. Teidelbaum sieht seit 2021 einen Grundkonflikt zwischen zwei Lagern, der eher ein Macht- als ein inhaltlicher Konflikt sei. Das eine Lager gruppiert sich um die frühere Landesvorsitzende und jetzige Co-Bundessprecherin Alice Weidel, das andere um den Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel. Letzteres unterlag beim letzten Landesparteitag in Rottweil deutlich und bekam nur etwa ein Viertel Zustimmung. Aber auch schon vorher hatte sich im Sommer 2016 die AfD im baden-württembergischen Landtag zumindest zeitweise in zwei Fraktionen gespalten.

Vorbereitung auf kommende Wahlen

In vielen Gemeinden und Kreisen hat die AfD Schwierigkeiten Kandidaten zu finden. Zu ihrer kommunalpolitischen Verfasstheit siehe beispielsweise https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.afd-in-den-kommunen-wenig-kontinuitaet-viel-interner-streit-in-baden-wuerttemberg.843f329c-278f-46cb-8708-6d969f3ad5be.html .

Um ihre Kandidaten inhaltlich zu stärken, bieten der „Verein konservativer Kommunalpolitiker Baden-Württemberg“ bzw. die „Kommunalpolitische Vereinigung“ der AfD und die „Gustav-von-Struve-Stiftung“ Schulungen an, unter anderem zu sozialen Themen: Schulen, ärztliche Versorgung im ländlichen Raum usw. Die AfD setzt aber vor allem auf ideologisch aufgeladene Themen wie zum Beispiel Auto-Mobilität und Themen, die weniger kommunalpolitische Relevanz haben.

Aktuell plakatiert sie im Neckar-Odenwald-Kreis zu den Europa- und Kommunalwahlen eher allgemeine bundespolitische Parolen, während sie auf personenbezogene Werbung für ihre Kandidaten für die Kommunalwahlen weitgehend zu verzichten scheint. Ihre Parolen setzen unter anderem auf Nationalismus, schüren Sozialneid, sprechen Ängste vor wirtschaftlichem Niedergang an und unterstellen der Ampel-Politik diktatorische Tendenzen und die Bedienung fremder Interessen: „Unser Land zuerst“, „Unser Land Unsere Werte“, „EU-Macht begrenzen“, „Asylchaos stoppen“, „Energieversorgung sicherstellen“, „Zensur verhindern“, „Demokratie bewahren“, „Familien fördern“ oder einfach „AfD jetzt“. Ein Banner fragt: „Wer bestimmt künftig, was ich noch sagen und sehen darf? Meinungsfreiheit schützen – AfD“. Ein anderes erklärt: „Milliarden für die Welt, aber nichts fürs Gesundheitssystem? Schlechte Rettungszeiten, Mangel an Ärzten und Pflegekräften, geschlossene Notfallpraxen, Krankenhäuser und Abteilungen. Wir ändern das! AfD“.

Anscheinend gelingt es der AfD erfolgreich Erstwähler und -wählerinnen anzusprechen, wie eine Studie herausgefunden haben will. Möglicherweise punktet die AfD dabei mit Videos bei Tiktok. Zur Diskussion dazu siehe beispielsweise https://www.telepolis.de/features/Rechtsruck-in-der-jungen-Generation-Krisenfolge-und-TikTok-Versagen-9698512.html oder https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/683/politik-nur-fuer-grauhaarige-9513.html oder https://www.swr.de/swrkultur/leben-und-gesellschaft/rechtstrend-der-jugend-auf-tiktok-gefaehrlich-oder-missverstanden-100.html und https://www.telepolis.de/features/Rueckt-die-Jugend-nach-rechts-oder-ist-alles-nur-ein-Missverstaendnis-9735527.html

Charakteristika des baden-württembergischen AfD-Landesverbandes

Als Charakteristika des Landesverbandes Baden-Wüttemberg zählt Teidelbaum den Machtkonflikt zwischen den Lagern um Weidel und Spaniel auf, dass die AfD ein rechtes Sammlungsprojekt sei und gewisse Kontinuitätslinien zu den früheren Wahlerfolgen der Partei „Die Republikaner“ in Baden-Württemberg existieren. Zu Demonstrationen ist die Partei nur wenig mobilisierungsfähig: sie bringt kaum mehr als 500 Leute auf die Straße. Erfolgreicher waren hier die Protestangebote der Corona-Pandemie-Leugner. Im Vergleich zu anderen Bundesländern hat die AfD in Baden-Württemberg einen etwas stärkeren christlichen Flügel. Ihr Hauptfeind seien neben anderen Regierungsparteien vor allem die Grünen.

Ausblick

Offen ist, inwieweit der AfD Konkurrenz aus neu gegründeten Parteien erwächst: zum einen von der rechtspopulistischen und rechtskonservativen Werteunion und zum anderen vom „sozialkonservativen“ Bündnis Sahra Wagenknecht BSW.

Auf Landesebene scheint die AfD derzeit kein Koalitionspartner für die CDU zu sein. Hier hat sich in letzter Zeit der CDU-Landeschef Manuel Hagel deutlich positioniert, zum Beispiel seien die AfD „Vaterlandsverräter“ https://www.staatsanzeiger.de/nachrichten/politik-und-verwaltung/hagel-scharfe-angriffe-auf-afd-und-gedenken-an-schaeuble/ oder „Wir sind die Brandmauer“ https://www.cdu-parteitag.de/artikel/wir-sind-die-brandmauer ). Auf lokaler Ebene sei es aber nicht ausgeschlossen, dass die CDU mit der AfD zusammen arbeite. Direkte Macht wie zum Beispiel ein Posten als Oberbürgermeister sei vorerst aber nur vereinzelt denkbar: so war 2018 der Burladinger Bürgermeister Harry Ebert zur AfD übergetreten, bis er 2020 von seinem Amt zurück trat.

Ansätze zur Intervention, um weiteres Erstarken und Einfluss der AfD zu verhindern oder gar zurückzudrängen

Hier wurden verschiedene Strategien aufgezählt: Interventionen sollten sich wieder stärker auf soziale statt auf Kulturkämpfe konzentrieren. Auch spezifische Zielgruppen und ihre gesellschaftliche Situation sollten angesprochen werden.

Es drohe, dass sich Politik und Gesellschaft an die AfD und die damit einhergehenden reaktionären Politiken gewöhnen könnten. Eine solche Normalisierung müsse kritisch thematisiert und reflektiert werden. Der Selbstverharmlosung der AfD zum Beispiel als konservativ müsse widersprochen werden: nein, sie sei extrem rechts, was sich auch in der Bedeutung des Flügels um Björn Höcke spiegle.

Überlegt wurden auch digitale Gegenstrategien zum Beispiel auf Tiktok oder Memes gegen Rechts, die aber auch glaubwürdig und nicht angebiedert sein sollten. Gearbeitet werden kann auch mit Zitaten (zum Beispiel menschenverachtende Aussagen), wobei auch hier mit Gewöhnungseffekte gerechnet werden muss.

Der Protest gegen die AfD lebt auch vom öffentlich wirksamen Aufgreifen von „Pleiten, Pech, und Pannen“ und Skandalen, in die verschiedene AfD-Politiker verwickelt sind und die ihren eigenen Ansprüchen in Abgrenzung zu den „verbrauchten“, „korrupten“ „Systemparteien“ widersprechen. Beispiele könnten sein die Spendenaffäre um Alice Weidel, das Ausspionieren von Örtlichkeiten im Bundestag durch Maximilian Eder (von der Reichsbürgergruppe um Prinz Reuß) zusammen mit der damaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann, die Skandale um den jungen bayrischen AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Halemba ( https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Halemba ) usw.

Der Kreisvorsitzende der AfD Neckar-Odenwald-Kreis Johann Martel trieb sich im Mai 2023 auf der Seite der Reichsbürger-Vereinigung „Königreich Deutschland“ (KRD) herum. Anscheinend fühlt er sich aber doch noch mehr der Bundesrepublik Deutschland verbunden, denn er kandidiert zu den Kommunalwahlen. Auch wenn Johann Martel Sympathien für Björn Höcke hat, gehört er eher dem Weidel-Lager an. Im Sommer 2023 kandidierte er erfolglos für den Posten des Oberbürgermeisters in Walldürn.

Europawahlen

Aus Baden-Württemberg könnten zwei AfD-Kandidaten ins Europaparlament einziehen. Marc Jongen wurde auf den sicheren Listenplatz 6 gewählt. Zu dem früher als „Parteiphilosoph“ titulierten Marc Jongen siehe beispielsweise https://de.wikipedia.org/wiki/Marc_Jongen oder ein Interview mit ihm im Staatsanzeiger https://www.staatsanzeiger.de/nachrichten/politik-und-verwaltung/afd-spitzenkandidat-marc-jongen-wir-sind-eine-partei-der-buergerlichen-mitte/ .

Dagegen sind die Chancen für Lars Haise aus dem im Rems-Murr-Kreis, ins Europaparlament einzuziehen, gesunken. Listenplatz 21 könnte nicht mehr reichen, nachdem die Partei nach der Correctiv-Recherche zu dem Geheimtreffen in Potsdam und der Skandalisierung von China- und Russland-Kontakten der Spitzenkandidaten Krah und Bystron in Umfragen an Zustimmung verloren hat. Auf dem AfD-Bundesparteitag am 6. August 2023 meinte Haise u.a. in seiner Bewerbungsrede: „Liebe Parteifreunde, das Volk – das kann ich als jemand aus dem Volk den ganz normalen Leuten sagen –, das Volk will nicht gendern, das Volk will keine Masseneinwanderung in die Sozialsysteme, es will keine Messerstecher, keinen Klima-Terror, und das Volk will vor allem keinen Krieg.“ ( https://www.zvw.de/rems-murr-kreis/was-ist-rechtsextrem-die-rede-von-lars-haise-schorndorf-beim-afd-parteitag_arid-693034 )