An die Ampel-Koalitionsverhandlungen: Deutschland atomwaffenfrei jetzt!

Update 27.11.2021

Schlingerkurs zu Atomwaffen im Ampel-Koalitionsvertrag

Der Ampel-Koalitionsvertrag wurde verkündet. Die „Initiative AtomErbe Obrigheim“ und „Mosbach gegen Rechts“ hatten im Vorfeld einen gemeinsamen Appell an die Verhandlungsparteien geschickt (siehe weiter unten). Immerhin einer der Verhandler, Dietmar Nietan (SPD), dankte uns, hielt sich aber zu seiner eigenen Position und zu den Verhandlungen mit nichtssagenden Floskeln bedeckt:

„Mit Interesse habe ich Ihre Anregungen und Formulierungsvorschläge zur Kenntnis genommen. Die Arbeiten an einem Koalitionsvertrag laufen auf Hochtouren und ich freue mich, im Bereich Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik zum Verhandlungsteam zu gehören. Wir werden uns in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in allen Politikbereichen um gute Kompromisse bemühen, die ein breites Spektrum an Anliegen berücksichtigen!“

Eingemischt in die Koalitionsverhandlungen hatte sich auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit einer Ermahnung: er forderte die künftige Bundesregierung auf, die nukleare Teilhabe Deutschlands zu sichern und sich mit deutlich höheren Verteidigungsausgaben an der gemeinsamen Sicherheit des Bündnisses zu beteiligen. Offenbar war die NATO über die Haltung von Teilen aller drei Ampel-Parteien verunsichert. Die FAZ führt dazu aus: „Die SPD blockierte gen Ende der großen Koalition Beschlüsse zur Beschaffung eines Nachfolgers der alten Tornado-Jets und diskutierte eine Abkehr von der Doktrin der  nuklearen Teilhabe. Auch bei Grünen und FDP gab und gibt es Stimmen, die einen Abzug der Atombomben und einen Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe fordern. … Stoltenberg sagte bei einer Konferenz in Berlin, die gemeinsame Verantwortung und Verfügung über die Nuklearwaffen in Europa sei immens wichtig für die NATO. Die nukleare Teilhabe sei für Deutschland und Europa ein Platz an dem Tisch, an dem Entscheidungen getroffen werden.“ Stoltenberg drohte: „Die Alternative wäre eine Verlagerung und Stationierung der Nuklearwaffen in den Osten Europas“, womit er ein Angebot Polens aufgriff. Stoltenberg verwies auf Steigerung der atomaren militärischen Kapazitäten von Russland und China und folgerte daraus: „Niemand mag Nuklearwaffen, aber solange sie da sind, müssen wir sie auch haben“. Auch der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger hatte die Ampel-Parteien vor der Aufkündigung der nuklearen Teilhabe mit der Folge der Verlagerung der US-Atomwaffen von Deutschland nach Polen gewarnt. Es waren dann nicht die großen Medien sondern Friedensorganisationen, die darauf hinwiesen, dass dies eine Vertragsverletzung der NATO-Russland-Grundakte vom 27. Mai 1997 bedeuten würde, wonach sich die NATO verpflichtet hatte, in den neuen Beitrittsstaaten, also auch in Polen, keine Atomwaffen zu stationieren. Diese Verpflichtung hatte zuletzt auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages am 29. April 2020 ausdrücklich hervorgehoben.

Wie leider zu erwarten war, will die Ampel nicht das Plätzchen der nuklearen Teilhabe (Stoltenberg) am NATO-Tisch aufgeben, und beschloss daher einen Schlingerkurs. Sie schrieb in den Koalitionsvertrag:

Solange Kernwaffen im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Vor dem Hintergrund der fortbestehenden Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und Europas nehmen wir die Sorgen insbesondere unserer mittel- und osteuropäischen Partnerstaaten ernst, bekennen uns zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotenzials und wollen die Dialoganstrengungen der Allianz fortsetzen. Wir unterstützen die Bemühungen des Bündnisses zu konventioneller und nuklearer Abrüstung sowie Rüstungskontrolle. Wir werden den europäischen Pfeiler in der NATO stärken und uns für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen NATO und EU einsetzen. … Wir brauchen eine abrüstungspolitische Offensive und wollen eine führende Rolle bei der Stärkung internationaler Abrüstungsinitiativen und Nichtverbreitungsregimes einnehmen, u. a. bei der Stockholm-Initiative für Nukleare Abrüstung. Wir werden uns dafür einsetzen, dass von der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) 2022 ein wirklicher Impuls für die nukleare Abrüstung ausgeht. Unser Ziel bleibt eine atomwaffenfreie Welt (Global Zero) und damit einhergehend ein Deutschland frei von Atomwaffen. Wir setzen uns mit Nachdruck für ein Nachfolgeabkommen zu NewSTART ein, das neben neuen strategischen Nuklearwaffensystemen auch solche kurzer und mittlerer Reichweite umfasst. Wir setzen uns für Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur vollständigen Abrüstung im substrategischen Bereich ein. Nuklearwaffenstaaten wie China wollen wir stärker in nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle einbinden. Im Lichte der Ergebnisse der Überprüfungskonferenz des NVV und in enger Absprache mit unseren Alliierten werden wir als Beobachter (nicht als Mitglied) bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages die Intention des Vertrages konstruktiv begleiten. … Wir werden zu Beginn der 20. Legislaturperiode ein Nachfolgesystem für das Kampfflugzeug Tornado beschaffen. Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten.“

Viele gute Absichten, bei denen mensch aber davon ausgehen kann, dass sie vermutlich folgenlos bleiben werden: daher auch der Beschluss, der die Ankündigung der scheidenden Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauers vom April 2020 aufgreift, für mehrere Milliarden neue Atombomber vermutlich aus den USA für die Bundeswehr zu beschaffen, die im Einsatzfall als Trägersysteme die 20 in Deutschland gelagerten us-amerikanischen Atomwaffen in gegnerische Ziele feuern sollen.

Betonung des ernsten Willens zu einer abrüstungspolitischen Offensive und gleichzeitig Aufrüstung und nukleare Teilhabe. Den Atomwaffenverbotsvertrag „konstruktiv begleiten“, ihm aber nicht beitreten. Mit diesem Kompromiss wird sicherlich auch die voraussichtlich zukünftige Außenministerin Annalena Baerbock leben können, die noch drei Wochen vor der Bundestagswahl angekündigt hatte, konkrete Schritte gehen zu wollen, dass die Amerikaner ihre Atombomben aus Deutschland abziehen und Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichne.

Erste Reaktionen aus der Friedensbewegung fallen unterschiedlich aus. Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen ICAN Deutschland sieht einen „historischen Erfolg“ im Bemühen um Abrüstung und fordert die Zivilgesellschaft auf, die Chancen durch weiteres Engagement zu nutzen: „Damit wird Deutschland nach Norwegen der zweite NATO-Staat und das erste Land, in dem Atomwaffen stationiert sind, das die Staatenkonferenz [zum Atomwaffenverbotsvertrag] beobachtet. Wir werden uns dafür einsetzen,  dass diese Konferenz zum Anfang vom Ende von Atomwaffen in Deutschland wird!“ ICAN Deutschland meint: „Der Koalitionsvertrag lässt im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik Spielraum für einen Paradigmenwechsel.“

Geradezu konträr ist das „Entsetzen“ der „Kampagne Büchel ist überall! Atomwaffenfrei.jetzt“: „Mit der Festlegung auf die Anschaffung neuer Trägerflugzeuge für die Atombomben in Büchel wird die nukleare Teilhabe zementiert. SPD und Grüne widersprechen allen zuvor gegebenen verbalen Beteuerungen zu nuklearer Abrüstung. Stattdessen wollen sie mit Milliarden die nukleare Aufrüstung unterstützen.“ „Vage Äußerungen hinsichtlich internationaler Verhandlungsprozesse zu nuklearer Abrüstung sind zu wenig! Wenn die atomare Weltuntergangsuhr auf 100 Sekunden vor 12 steht, nützt das wiederholte Zitieren von Fernzielen nichts. Die Welt braucht konkrete Schritte zu nuklearer Abrüstung“, so Hildegard Slabik-Münter von der atomwaffenfrei-Kampagne. Die Zusage der Teilnahme an der Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag im März 2022 als Beobachter sei „lediglich ein Trostpflaster!“

 

Aktivisten der Deutschen Friedensgesellschaft / Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK) vor Büros der Ampel-Parteien

Verschiedene Friedensorganisationen haben an die Parteien der Ampel-Koalitionsverhandlungen appelliert, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterstützen und die nukleare Teilhabe Deutschlands zu beenden. Auch die Initiative AtomErbe Obrigheim IAEO hat ein entsprechendes Schreiben an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Verhandlungen geschickt. Unterzeichnet wurde das Schreiben zudem von Freundinnen und Freunden der Initiative Mosbach gegen Rechts, welche die letzten drei Male auch die Mahnwachen zum Hiroshima-Tag in Mosbach mit organisiert haben.

Atomwaffenverbot in den Koalitionsvertrag! Beendet die nukleare Teilhabe jetzt! Nutzt die Chance zu einem friedenspolitischen Neuanfang!

Hier das Schreiben:

Initiative AtomErbe Obrigheim …

7.11.2021

An die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ampel-Koalitionsverhandlungen, Arbeitsgruppe zum Thema Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Außen und Menschenrechte

An
Heiko Maas, Siemtje Möller, Dietmar Nietan, Bärbel Kofler, Gabriela Heinrich, Nils Schmid (SPD)
Agnieszka Brugger, Omid Nouripour, Reinhard Bütikofer, Tobias Lindner, Hannah Neumann, Pegah Edalatian (Grüne)
Alexander Graf Lambsdorff, Bijan Djir-Sarai, Gyde Jensen, Michael Link, Frank Müller-Rosentritt, Marie Agnes Strack-Zimmermann (FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir von der Initiative AtomErbe Obrigheim wenden uns an Sie als Teilnehmerínnen und Teilnehmer der Ampel-Koalitionsverhandlungen mit der …

… dringlichen Bitte, den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag und die Beendigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands in den Ampel-Koalitionsvertrag aufzunehmen. Bitte stoppen Sie damit auch die Anschaffung neuer Milliarden teurer Kampfflugzeuge als Trägersysteme für die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen und den weiteren Ausbau der dafür benötigten militärischen Infrastuktur.

Wie Sie wissen hatte vor über elf Jahren am 26. März 2010 der Bundestag die Bundesregierung mit großer Mehrheit aufgefordert, sich „gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen“ und sich an Diskussionen „über die verschiedenen, auch zivilgesellschaftlichen Ansätze für eine vollständige nukleare Abrüstung … oder … über den Vorschlag für eine Nuklearwaffenkonvention zur Ächtung der Atomwaffen“ zu beteiligen.

Bei beidem haben die Bundesregierungen seither keine sichtbar ernsthaften Anstrengungen unternommen oder sich sogar dagegen gestellt. Und dies, obwohl Umfragen in der Bevölkerung eine breite Mehrheit für ein Atomwaffenverbot, für einen Abzug der Atomwaffen aus Deutschland und gegen eine Modernisierung der in Deutschland stationierten Atomwaffen feststellten. Über 700 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen haben sich mittlerweile den Mayors for Peace in Deutschland angeschlossen. Alle 16 Landeshauptstädte und weitere 121 Städte haben sich seit 2019 dem ICAN-Städtebündnis angeschlossen – darunter auch die Stadt Mosbach und ihr Oberbürgermeister. Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen ICAN wurde 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Leider hat die Bundesregierung dieses zivilgesellschaftliche Votum bisher ignoriert und ihre Teilnahme am Prozess zum Atomwaffenverbotsvertrag AVV verweigert. Wir bedauern dies und fordern die zukünftige Bundesregierung auf, dieses Versäumnis wiedergutzumachen und den AVV zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Der AVV ist im Januar 2021 in Kraft getreten und somit internationales Völkerrecht. Atomwaffen sind verboten!

Wir sind auch enttäuscht über die Haltung der meisten europäischen Staaten. Insbesondere die größeren Staaten fehlen: unterzeichnet haben den AVV vor allem Mini-Staaten (Vatikan, Liechtenstein, Malta und San Marino sowie Österreich und Irland) und bis auf Liechtenstein auch alle ratifiziert. Dass die Staaten der Europäischen Union (Friedensnobelpreisträger von 2012) diesen zivilgesellschaftlichen Prozess zu einer atomwaffenfreien Welt hingegen weitgehend boykottieren, empfinden wir als beschämend und grobe Missachtung eines der großen Menschheitsziele.

Leider hat auch die bisherige Bundesregierung die Tragweite dieser bedeutenden Entwicklung nicht erkennen wollen, eine zahnlose Nebendiplomatie wie die Stockholm-Initiative betrieben und sich diesbezüglich international ins Abseits und außerhalb der Menschheitsfamilie der Vereinten Nationen gestellt.

Dabei könnte Deutschland als einflussreiche Wirtschaftsmacht sowie Mitgliedsstaat der NATO und der Europäischen Union ein Signal setzen und der Dynamik des internationalen Prozesses zu einer atomwaffenfreien Welt erheblich Schwung verleihen.

Nutzen Sie mit der Bildung der neuen Bundesregierung die Chance zu einem echten Neuanfang in der Friedenspolitik – ohne atomare Abschreckung! Treten Sie entschlossen dem atomaren und globalen Wettrüsten entgegen!

Über eine positive Rückmeldung würden wir uns sehr freuen.

Für die „Initiative AtomErbe Obrigheim“:
Arno Huth, Ulrike Huxoll, Gertrud Patan, Walter Simon

Von der befreundeten zivilgesellschaftlichen Initiative „Mosbach gegen Rechts“:
Barbara Meyer, Sascha Morr

Appelle der DFG/VK Baden-Württemberg und der Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei jetzt!“:

Die Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte Kriegsdienstgegner DFG/VK Baden-Württemberg wirbt in einer Rundmail für „einen friedenspolitischen Paradigmenwechsel“:
Liebe Mitglieder der und Interessierte an der DFG-VK Baden-Württemberg,
seit letzten Mittwoch tagen die verschiedenen Arbeitsgruppen, um in den Koalionsverhandlungen den Weg für eine SPD geführte Regierung mit Grünen und der FDP zu ebnen.
Als Impuls gebender Teil vieler Kampagnen nehmen wir Einfluss auf die von Heiko Maas, Omid Nouripur und Alexander Graf Lambsdorff geleitete 18-köpfige Arbeitsgruppe 20 „Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Außen“. Um damit perspektivisch einen Paradigmenwechsel erreichen zu können.
Die Frage der nuklearen Teilhabe scheint ein besonders kontroverses Thema zu sein. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, kam dazu vielfach in den Medien zu Wort, in einer kaum zu überbietenden Meinungsmache, zuletzt am 31. Oktober im ZDF. Die Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ wandte sich am 29. Oktober mit dem Statement „Atomwaffen in Polen sind vertragswidrig“ an die Medien. Wenige Tage zuvor wandte sich die Kampagne in einem Offenen Brief an die Verhandelnden. Zudem schalteten über 40 Organisationen eine Anzeige „Atomwaffenverbot in den Koalitionsvertrag“ am 26. Oktober im Tagesspiegel. In Stuttgart und Karlsruhe engagierten sich Aktive mit Bannern vor den Parteibüros von SPD, Grünen und FDP.
Die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ forderte mit über 40 weiteren Organisationen dazu auf, ein wirklich restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz in den Koalitionsvertrag aufzunehmen und im Bundestag zu beschließen. Der Appell im Wortlaut findet sich hier.
Friedensinitiativen, Kirchen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen der Kampagne „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“ fordern die Parteien auf, bei den Koalitionsverhandlungen sicherzustellen, dass künftig nur noch Volljährige ihren Dienst als Soldat oder Soldatin der Bundeswehr antreten dürfen. …
… Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.
Viele Grüße
Roland Blach.
Und die Kampagne „Büchel ist überall: Atomwaffenfrei jetzt!“ stellt klar und ruft auf:
Atomwaffen in Polen sind vertragswidrig
Pressemitteilung vom 29. Oktober 2021
Die Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ begrüßt den Vorschlag des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, den militärischen Teil der nuklearen Teilhabe Deutschlands zu beenden. Diese Forderung ist erwartungsgemäß auf gehörigen Widerspruch gestoßen. Das war abzusehen. Ebenfalls nicht überraschend hat sich jetzt auch Wolfgang Ischinger dazu geäußert. Ein Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland würde „Polen … sicherheitspolitisch den Teppich unter den Füßen wegziehen“. Ischinger bringt die Möglichkeit ins Spiel, dass dann Polen nach Atombomben auf seinem Territorium verlangen könnte.
Allein die Tatsache, dass Ischinger dies in Erwägung zieht, bedeutet ein Spiel mit dem Feuer. Als langjähriger Leiter der sogenannten Sicherheitskonferenz in München muss er wissen, dass Sicherheit von Vertrauen lebt. Eine Grundlage für Vertrauen ist, dass Verträge eingehalten werden: „pacta sunt servanda“. Die NATO hat sich vertraglich verpflichtet, in den neuen Beitrittsstaaten, also auch in Polen, keine Atomwaffen zu stationieren. Diese Verpflichtung wurde von den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages ausdrücklich hervorgehoben (WD 2-3000-041/20 vom 29. April 2020):
„In der NATO-Russland Grundakte (Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen Föderation) vom 27. Mai 1997 wird eine Stationierung von Atomwaffen im Hoheitsgebiet der neuen NATO-Mitglieder ausgeschlossen. Unter dem IV. Punkt (Politisch-Militärische Angelegenheiten) beschlossen die Parteien: ‚Die NATO und Russland bekräftigen ihren gemeinsamen Wunsch, mehr Stabilität und Sicherheit im euro-atlantischen Raum zu erreichen. Die Mitgliedstaaten der NATO wiederholen, dass sie nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass haben, nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren, noch die Notwendigkeit sehen, das Nukleardispositiv oder die Nuklearpolitik der NATO in irgendeinem Punkt zu verändern – und dazu auch in Zukunft keinerlei Notwendigkeit sehen. Dies schließt die Tatsache ein, dass die NATO entschieden hat, sie habe nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass, nukleare Waffenlager im Hoheitsgebiet dieser Mitgliedstaaten einzurichten, sei es durch den Bau neuer oder die Anpassung bestehender Nuklearlagerstätten (…).‘“
Von Menschen, die der Sicherheit aller Menschen einen Dienst erweisen wollen, erwarten wir u.a. auch Empathie mit denjenigen, die unter dem Schrecken der Atomwaffen weltweit leiden, und die Einleitung vertrauensbildender Schritte zur Abschaffung der Atomwaffen. Hiroshima und Nagasaki mahnen, die Weltuntergangsuhr steht auf 100 Sekunden vor Zwölf. Der Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag gehört in den Koalitionsvertrag. Wir brauchen parallel zum Abzug der Atomwaffen eine neue Entspannungspolitik. Sicherheit in Europa kann es nur gemeinsam mit, nicht gegen Russland geben.