von Arno Huth, 22. April 2021
Anfang der 1960er Jahre ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Kriminalsekretär Dr. Heinrich Faber hinsichtlich der Exekution von mindestens 38 polnischen Landarbeitern in den Jahren 1941 und 1942 in Baden wegen sogenannter „geschlechtsvertraulicher Beziehungen“ zu deutschen Frauen. Faber war diesbezüglich zuständiger Abteilungsleiter der Gestapo-Leitstelle Karlsruhe. Zwei Fälle stammen auch aus dem Bereich des heutigen Neckar-Odenwald-Kreises: am 22. April 1941, also genau vor 80 Jahren, wurde in Oberschefflenz der 27-jährige Wladyslaw Skrzypacz erhängt sowie am 9. März 1942 in Hardheim der 25-jährige Stanislaw Piaskowski.
Polnische Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft während der Zeit des Zweiten Weltkriegs
Um deutsche Landwirte, die zur Wehrmacht in den Krieg eingezogen worden waren, zu ersetzen, wurden Hunderttausende vor allem junge Polen und Polinnen aus den besetzten Gebieten für die Zwangsarbeit in der Landwirtschaft ins Reich verschleppt. Auch in Oberschefflenz mussten auch polnische und polnisch-ukrainische Zwangsarbeiter (neben französischen Kriegsgefangenen) in landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten: eine Liste vom Juli 1943 führt 24 polnische Landarbeiter (14 Männer und 10 Frauen) und ihre Arbeitgeber auf. Viel ist über sie nicht mehr bekannt. Die Polen wurden in einer zum Schlafquartier umfunktionierten Scheune in der Ringelgasse untergebracht.
So berichtet ein Einwohner von Schefflenz: „Wir hatten einen polnischen dienstverpflichteten Zivilarbeiter, Michel mit Vornamen, der bei uns arbeitete und von uns verpflegt wurde. Zum Schlafen musste er in das Polenlager. Er war etwa ein Jahr bei uns. Bei einem Streit zwischen Polen und Ukrainern erhielt er drei gefährliche Messerstiche und musste ins Krankenhaus. Das war Ende 1941 oder Anfang 1942. Nach ihm erhielten wir den Ukrainer Alexander Micztal. Er arbeitete und wohnte bei uns bis zum Kriegsende.“ Gemeint ist eventuell der damals 16-jährige Ukrainer Oleksander Mischtal aus der damals zu Polen gehörenden Woiwodschaft Stanislawow.
Eine andere Schefflenzerin berichtet: „Der Pole Mieczyslaw Sieranz arbeitete bei uns. Er hat mich nach dem Krieg mehrmals eingeladen. Ich habe ihn und seine Frau 1986 in Polen besucht. Mit seiner Frau Czeslawa, geborene Czaban, war unser Pole schon in Oberschefflenz befreundet. Als sie später in Muckental arbeiten musste, kam sie jeden Sonntag zu Fuß hierher. Bei uns arbeitete und wohnte auch ihre Schwester Hanka Czaban, die 14 Jahre alt war. Niemand wollte sie nehmen, da haben wir sie halt genommen. Vorher hatten wir einen französischen Kriegsgefangenen. Er wurde krank und kam ins Lager. Er weinte, als er von uns weg ging.“
Eine Aufstellung der Stadt Mosbach vom 14.6.1946 verzeichnet 288 „geschlossene Ehen von Ausländern seit dem 2.9.1939“. Fast alle sind polnische Frauen und Männer, die nach ihrer Befreiung Anfang April 1945 im Lager für Displaced Persons in Mosbach (auf dem Gelände des heutigen Nicolaus-Kistner-Gymnasiums) untergebracht worden waren. Darunter auch die Ehe von Mieczyslaw Sierzant (geboren 1921 in Zalecze) und Czeslawa Czaban (geboren 1925 in Lemberg, dem heutigen Lwow in der Ukraine).
Auch die früheren Zwangsarbeiter in Oberschefflenz Stanislaw Gorak (geboren 1919 in Zalecze) und Janina Lubieniecka (geboren 1923 in Chorzow) heirateten im Lager Mosbach.
Wladyslaw Mulak (geboren 1922 in Narol in der Provinz Zamosc) gibt 1949 an, dass er als Landarbeiter in Oberschefflenz arbeiten musste, nach der Befreiung von April bis Juni 1945 im Displaced-Persons-Lager Mosbach lebte, bis Ende 1945 als Küchenarbeiter bei amerikanischen Truppen in Aglasterhausen arbeitete und seither in Karlsruhe wohnte. Etwa 1947 oder 1948 heiratete er die Arbeiterin Hannelore Hein aus Karlsruhe. Wladyslaw Mulak wollte wegen des kommunistischen Regimes nicht mehr nach Polen zurückkehren und stattdessen lieber in die USA auswandern, wo eine Tante in Detroit lebte. Vermutlich sein Cousin Kazimierz Mulak, der mit ihm nach der Befreiung als Displaced Person in Karlsruhe sich aufhielt, kehrte hingegen im Dezember 1946 nach Polen zurück.
Foto: Wladyslaw Mulak nach der Befreiung etwa 1947 in Karlsruhe.
Die Stellung der polnischen Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft
Strenge Verordnungen bei Androhung harter Strafen regelten die Unterbringung, den Arbeitseinsatz und die Stellung der polnischen Zwangsarbeiter in den Dörfern. Nicht selten waren es jugendliche Leute, die von ihrer Familie getrennt und aus ihrer Heimat verschleppt worden waren und nun in der Fremde weitgehend rechtlos waren. Wie sich ihre Lebenssituation aber konkret gestaltete, hing oft auch von den Verhältnissen bei ihren Arbeitgebern, in den Unterkünften und in den Dörfern ab. Erst im letzten Kriegsjahr wurde ihre Stellung geringfügig aufgebessert.
Einen Eindruck darüber vermittelt ein Schreiben des Landrats von Neustadt/Schwarzwald vom 5. Dezember 1941 „an die Herren Bürgermeister des Landkreises“, in dem dieser beklagt, dass die Verordnungen zur „Behandlung der im Reich eingesetzten Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums sehr mangelhaft durchgeführt“ werde, weshalb er diese nochmals zusammenfasste und „um strengste Beachtung und Durchführung“ ersuchte:
1. Ein Beschwerderecht steht den Landarbeitern polnischen Volkstums grundsätzlich nicht mehr zu und dürfen solche auch von keiner Dienststelle entgegen genommen werden.
2. Die Landarbeiter polnischen Volkstums dürfen die Ortschaften, in welchen sie zum Einsatz gegeben werden, nicht mehr verlassen und haben Ausgangsverbot vom 1. Oktober bis 31. März von 20 Uhr bis 6 Uhr und vom 1. April bis 30. September von 21 Uhr bis 5 Uhr.
3. Die Benutzung von Fahrrädern ist streng untersagt. Ausnahmen sind möglich für Fahrten zur Arbeitsstelle aufs Feld, wenn ein Angehöriger des Betriebsführers oder der Betriebsführer selbst dabei sind.
4. Der Besuch der Kirchen gleich welcher Konfession ist streng verboten, auch wenn kein Gottesdienst abgehalten wird, Einzelseelsorge durch die Geistlichen außerhalb der Kirchen ist gestattet.
5. Der Besuch von Theatervorstellungen, Kinos oder sonstigen kulturellen Veranstaltungen ist für die Landarbeiter polnischen Volkstums streng untersagt.
6. Der Besuch von Gaststätten für Landarbeiter polnischen Volkstums ist streng verboten mit Ausnahme einer Gaststätte im Ort, die vom Landratsamt hierzu bestimmt wurde, und nur an einem Tag in der Woche. Der Weg, welcher zum Besuch der Gaststätte freigegeben wurde, wird ebenfalls vom Landratsamt bestimmt. Bei dieser Bestimmung ändert sich an dem unter 2. verkündeten Ausgangsverbot nichts.
7. Der Geschlechtsverkehr mit Frauen und Mädchen ist streng verboten, und wo solcher festgestellt wird, ist Anzeigepflicht gegeben.
8. Zusammenkünfte von Landarbeitern polnischen Volkstums nach Feierabend auf anderen Höfen, sei es in Stallungen oder in den Wohnräumen der Polen, wird verboten.
9. Die Benutzung von Eisenbahnen, Omnibussen oder sonstigen öffentlichen Verkehrsmitteln durch Landarbeiter polnischen Volkstums ist verboten.
10. Bescheinigungen von der Ortspolizeibehörde (Bürgermeisteramt), welche zum Verlassen des Ortes berechtigen, dürfen nur in ganz großen Ausnahmefällen ausgestellt werden, keinesfalls aber, wenn ein Pole eigenmächtig eine Dienststelle, sei es ein Arbeitsamt oder die Kreisbauernschaft, aufsuchen oder seinen Arbeitsplatz wechseln will.
11. Ein eigenmächtiger Stellenwechsel ist streng verboten. Die Landarbeiter polnischen Volkstums haben solange täglich zu arbeiten, wie es im Interesse des Betriebes gelegen ist und vom Betriebsführer verlangt wird. Eine zeitliche Begrenzung der Arbeitszeit besteht nicht.
12. Das Züchtigungsrecht steht jedem Betriebsführer für die Landarbeiter polnischen Volkstums zu, sofern gutes Zureden und Belehrungen ohne Erfolg waren. Der Betriebsführer darf in einem solchen Fall von keiner Dienststelle deswegen zur Rechenschaft gezogen werden.
13. Die Landarbeiter polnischen Volkstums sollen nach Möglichkeit aus der Hausgemeinschaft entfernt werden und können in Stallungen usw. untergebracht werden. Irgendwelche Hemmungen dürfen dabei nicht im Wege stehen.
14. Alle von Landarbeitern polnischen Volkstums begangene Schandtaten, die dazu angetan sind, den Betrieb zu sabotieren oder die Arbeiten aufzuhalten, z. B. durch Arbeitsunwille oder freches Benehmen, unterliegen der Anzeigepflicht auch dann, wenn es sich um leichtere Fälle handelt. Ein Betriebsführer, welcher durch pflichtgemäße Anzeige seinen Polen, der daraufhin eine längere Haftstrafe verbüßen muss, verliert, erhält auf Antrag vom zuständigen Arbeitsamt bevorzugt eine andere polnische Arbeitskraft zugewiesen.
15. In allen anderen Fällen ist nur noch die Staatspolizei zuständig.
Auch für Betriebsführer sind hohe Strafen vorgesehen, sollte festgestellt werden, dass der notwendige Abstand von den Landarbeitern polnischen Volkstums nicht gewahrt worden ist, dasselbe gilt auch für die Frauen und Mädchen, Sonderzuwendungen sind streng untersagt. Nichteinhaltung der Reichstarife für Landarbeiter polnischen Volkstums werden mit sofortiger Wegnahme der Arbeitskarte durch das zuständige Arbeitsamt bestraft.
Denunzierung, Verhaftungen und Ermittlungen
Wladyslaw Skrzypacz war am 18. Oktober 1913 in Krawce in der Gemeinde Grebow im Powiat Tarnobrzeski der Woiwodschaft Karpatenvorland in Polen geboren worden. Verheiratet war er mit Sofie Drozd in Krawce. Nach der deutschen Eroberung Polens im Zweiten Weltkrieg wurde Wladyslaw Skrzypacz 1939 oder 1940 nach Deutschland verschleppt und kam als landwirtschaftlicher ziviler Zwangsarbeiter zunächst nach Hassmersheim, wo er auch noch zum Zeitpunkt seines Tod gemeldet war, und ein paar Monate später nach Heinsheim und Oberschefflenz – alle Orte gelegen im damaligen Landkreis Mosbach.
Der 27-jährige Wladyslaw Skrzypacz arbeitete bei einem Landwirt, der in der Nachbarschaft einer 30-jährigen Lebensmittelhändlerin in der Ringelgasse wohnte. Sie berichtet: „Dieser Pole hat mir ab und zu Zucker- oder Salzsäcke vom Lagerraum in mein Ladengeschäft transportiert oder kam sonst zu Hilfe, wenn etwas Schweres zu heben war. Auch hat er seine Rauchwaren und sonstigen Sachen bei mir eingekauft.“
Wie es genau dazu kam, dass ein angebliches oder tatsächliches Verhältnis zwischen den beiden bekannt und denunziert wurde und von wem, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Der damalige Bürgermeister Adolf Reimold berichtet: „Eines Tages wurde es ruchbar, dass dieser Pole mit einer Frau in Oberschefflenz geschlechtliche Beziehungen gehabt haben soll. Was eigentlich genau los war, haben wir auf dem Rathaus nicht erfahren.“
Am Samstag, den 23. November 1940 wurden der Pole und die Frau vom damaligen Oberschefflenzer Gendarmen Traber und anderen festgenommen und zur Untersuchungshaft ins Landgerichtsgefängnis Mosbach gebracht. Verhört wurden sie von Kriminalbeamten der Gestapo in Mosbach: von dem Kriminalassistenten Kurt Horsch und dem Kriminalsekretär Albert Hauk, der nach eigenen Angaben „vom 22. Juni 1938 bis 31. August 1941 … Leiter der Geheimen Staatspolizei-Außendienststelle Mosbach“ war. „Wir erhielten den Auftrag von dem Leiter der Abteilung II der Staatspolizeileitstelle Karlsruhe, Herrn Kriminalrat Dr. Faber.“
Albert Hauk: „Der Fall … war nur eine Schutzhaftsache und als solche ist sie behandelt worden. Bei den ganzen getroffenen Maßnahmen lag staatspolizeiliches Interesse vor. Sämtliche Vorgänge mussten in mehrfacher Fertigung vorgelegt werden und der Gestapoleitstelle Karlsruhe übersandt werden. … Die zuständige Staatsanwaltschaft Mosbach hat bestimmt keinen Aktenvorgang erhalten und war in keiner Weise eingeschaltet, weil es sich ja um eine reine staatspolizeilicher Maßnahme gehandelt hat.“ Gerichtsverfahren fanden daher keine statt, wie auch die Frau bestätigt: „Mit einem Gericht hatte ich überhaupt nichts zu tun. Ich wurde von der Gestapo einfach eingesperrt und blieb fast 6 1/2 Monate im Gefängnis in Mosbach sitzen.“
Die Erhängung des Wladyslaw Skrzypacz
Vermutlich schlug der Abteilungsleiter in der Staatspolizeileitstelle in Karlsruhe Dr. Heinrich Faber eine „Sonderbehandlung“ des Wladyslaw Skrzypacz dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin vor, welches schließlich aufgrund eines Erlasses verfügte, „dass Polen, welche geschlechtsvertrauliche Beziehungen mit deutschen Frauen oder Mädchen unterhalten, erhängt werden“, erklärt Albert Hauk. Bei den Ermittlungen Anfang der 1960er Jahre wird Dr. Faber vorgeworfen, dass dieser in seinen Empfehlungen auch eine mildere Vorgehensweise als eine „Sonderbehandlung“ hätte vorschlagen können wie beispielsweise eine Einweisung in ein Konzentrationslager. Nebenbei erwähnt finden sich so unter den Gründen für Schutzhaft von polnischen Zwangsarbeitern in den KZ Neckarelz und Neckargerach auch einzelne Fälle von „intimer Verkehr mit deutscher Frau“.
Zur Vorbereitung der Hinrichtung führt der damalige Bürgermeister Reimold von Oberschefflenz aus: „Einige Tage zuvor kamen zwei Herren [vermutlich Horsch und Hauk von der Gestapostelle Mosbach] aufs Rathaus und suchten an Hand einer Karte einen Platz im Gelände aus, wo die Erhängung des Polen vorgenommen werden sollte. Es sollte eine Stelle im Gelände sein, die weithin sichtbar ist. Diese Beamten suchten dann den Platz am Großherzog-Denkmal in Oberschefflenz [auf der Höhe außerhalb des Ortes] in Richtung Sennfeld aus.“
links: Platz am Großherzog-Denkmal heute, am 22.4.1941 Ort der Hinrichtung des Wladyslaw Skrzypacz, rechts: Ausschnitt auf historischer Postkarte
Laut dem Gefangenenbuch des Landgerichtsgefängnisses Mosbach wurde Wladyslaw Skrzypacz am Vortag der Exekution um 17.30 Uhr von der Gestapo abgeholt. Reimold berichtet: „Ich weiß nur noch, dass der Pole einen Tag vor der Erhängung nach Oberschefflenz verbracht und im hiesigen Ortsarrest von zwei auswärtigen Beamten in Zivil bewacht worden ist.“
Anhand von Fahrtkostenabrechnungen von Dienstreisen konnten 1960/1961 Teilnehmer an den Vorbereitungen und Durchführungen dieses grausamen Schauspiels ermittelt werden. Dies waren in diesem Fall ab 21. April 1941 von Karlsruhe aus der Kriminaldirektor Dr. Faber, vom 20. bis 24. April der aus Polen stammende und eingedeutschte Kriminalassistent Bernhard Steinhoff – er hieß zuvor Zgrisek – von Konstanz als Dolmetscher bei den Hinrichtungen von Skrzypacz und dem Polen Josef Poncek (am 24. April in Hüfingen bei Donaueschingen), vom 17. bis 24. April Kriminaloberassistent Kurt Horsch und Kriminalsekretär Albert Hauk von der Gestapo Mosbach, vom 18. bis 26. April von Karlsruhe aus Kriminalobersekretär Fritz Nagel zu den beiden Exekutionen in Oberschefflenz und Hüfungen sowie als weitere Teilnehmer von Mannheim aus Kriminaljurist Adolf Gerst, Kriminalsekretär Fritsch, der Kriminalangestellte Rudolf Stolze und der Fahrer Fritz Reuter.
Auch „die Hitlerjugend und die sonstigen Organisationen der Partei“ mussten antreten, erklärt Reimold: „Ich selbst war auch zugegen.“ Auch Albert Hauk bestätigt: „Die gesamte Exekution des Polen in Oberschefflenz wurde unter Leitung von Dr. Faber durchgeführt, welcher bei der Erhängung persönlich anwesend war. Ferner mussten sowohl mein Vertreter Horsch und ich gleichfalls anwesend sein. An der Exekution nahmen ferner Vertreter der Partei und deren Organisationen teil.“
Am Dienstagmorgen des 22. April um acht Uhr wurde Wladyslaw Skrzypacz an einem Baum an dem Platz erhängt, vermutlich durch Stoßen von der Pritsche eines Wagens. Um 8.10 Uhr wurde sein Tod festgestellt. Nicht bekannt ist, wer zum Vollzug der Hinrichtung herangezogen wurde.
Im Anschluss führte die Gendarmerie „sämtliche Polen des Bezirks Mosbach oder der engeren Umgebung von Oberschefflenz an die Exekutionsstätte“. „Diese mussten einzeln an dem Erhängten vorbeilaufen.“ Sie sollten damit vor Verstößen gegen die strengen Verhaltensregeln für polnische Zwangsarbeiter abgeschreckt werden.
Ein Grab, an dem Wladyslaw Skrzypacz gedacht werden könnte, gibt es nicht: nach der damaligen Praxis wurden die Leichen der erhängten polnischen Landarbeiter den Anatomien der Universitätsklinken überlassen – in seinem Fall vermutlich der in Heidelberg.
KZ-Einweisung der Oberschefflenzer Frau
Auch die beschuldigte Oberschefflenzer Frau traf ein hartes Schicksal: sie wurde nach einem halben Jahr Untersuchungshaft Ende Mai 1941 vom Gerichtsgefängnis Mosbach in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überführt, von wo sie erst drei Jahre später im Sommer 1944 entlassen wurde. Ihre Kinder sollen während dieser Zeit bei Großeltern aufgewachsen sein. Ihre Ehe wurde geschieden und erst später wenige Jahre nach Kriegsende wieder in Kraft gesetzt. Um ihre schwierige Lebenslage zu verstehen, sollten auch die patriarchalen Verhältnisse im Nationalsozialismus und noch Jahrzehnte nach Kriegsende mitbedacht werden und wie diese in zwischenmenschliche Beziehungen in Familien und Dorfgemeinschaften hineingewirkt haben könnten.
Ermittlungsverfahren gegen Dr. Heinrich Faber
Trotz der umfangreichen Ermittlungen Anfang der 1960er Jahre gegen Dr. Heinrich Maria Faber als Kriminaldirektor und Leiter der Abteilung II der geheimen Staatspolizei Karlsruhe und „wegen Beihilfe zum Totschlag“ konnte ihm „ein einwandfreies Verschulden an den Exekutionen der Polen im Raume der Gestapoleitstelle Karlsruhe nicht nachgewiesen werden“.
Dr. Heinrich Faber (geboren am 25. April 1900 in Bernkastel an der Mosel in Rheinland-Pfalz und gestorben am 12. März 1973 in Oelde) war als SS-Obersturmführer (SS-Nr. 310249) und promovierter Philologe Stellvertreter des Leiters der Staatspolizeileitstelle Karlsruhe (Gestapo Karlsruhe) von 1940 bis 1944 [Wikipedia, Zugriff am 19.4.2021]: Der Sohn eines Rechnungsrats besuchte ab Ostern 1910 die höhere Knabenschule in Bernkastel, ab 1915 das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in Trier und absolvierte 1918 die Abiturprüfung. Noch im gleichen und letzten Jahr des Ersten Weltkriegs diente er in der Marine. Ab 1919 studierte er an der Universität Bonn die Fächer Geschichte, Philosophie und klassische Philologie (Alte Sprachen), legte am 8. Februar 1922 die mündliche Prüfung zu seiner Dissertation ab: „Die Beziehungen des römischen Kaiserhauses zu den auswärtigen Fürstenhöfen“. Danach betätigte er sich bis Januar 1925 bei einem Arbeitergeberverband. Nach bestandener Prüfung zum Landbürgermeister nahm er ab Februar 1925 eine Stelle in der Kommunalverwaltung von Bernkastel an. Ab Mai 1926 nahm er seine Laufbahn bei der Polizei in Dortmund auf und bestand 1927 die Prüfung zum Kriminalkommissar an der Polizeischule in Berlin, um dann als Hilfskommissar wieder zur Kriminalpolizei Dortmund zurückzukehren. Ab 1928 wurde er zur Landeskriminalpolizeistelle Tilsit versetzt (Ostpreußen), wo er zum Kriminalkommissar ernannt wurde.
Obwohl Faber vorher als gläubiger Katholik der Zentrums-Partei nahe stand, wurde er zum 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP (Nr. 2057540) und der SA und bekannte sich damit vermutlich aus Karrieregründen zum Nationalsozialismus. Zum Kriminalrat wurde er am 1. April 1935 befördert, als er die Leitung der politischen Polizei in Tilsit übernahm. Bei der Gestapo Karlsruhe wurde er ab dem 1. Februar 1938 als Kriminalrat tätig. Von der SA trat er am 1. August 1938 zur SS im Range eines SS-Sturmbannführers über. Mit der Beförderung zum Kriminaldirektor an 1. April 1940 wurde er zum Stellvertreter des Leiters der Staatspolizeileitstelle Karlsruhe ernannt. Diese Stellung hatte er bis zum 10. Dezember 1944 inne, als er zur Gestapo Osnabrück versetzt wurde. Faber leitete die Dienststelle der Gestapo Osnabrück noch bis zum 1. April 1945 und setzte sich mit den Angehörigen zur Staatspolizeileitstelle Bremen ab.
Von seiner Mentalität her sei Faber von Zurückhaltung und Vorsicht geprägt gewesen, so dass er bald unter den Angehörigen der Gestapo Karlsruhe als „Kriminalrat Bedenken“ und „Professor Angstmann“ bekannt gewesen sei. Diese zurücksetzende Beurteilung führten aber wohl dazu, dass sich Faber dann an den Gewaltakten auf der Dienststelle gegen Gefangene beteiligte und anstandslos polnische Zwangsarbeiter wegen NS-Vergehen zu Hinrichtungen auslieferte. Infolge dieser Tätigkeiten wurde schließlich Anfang der 1960er Jahre gegen Faber ermittelt: im Zuge dieser Verfolgungen sei es zur ersten Hinrichtung am 5. April 1941 außerhalb eines KZ im NS-Regime gekommen. Gegen Faber wurde ab dem 27. April 1960 eine Voruntersuchung beim Landgericht Karlsruhe eingeleitet, die aber am 10. März 1964 eingestellt wurde, weil eine Verurteilung nicht mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre.
Faber tauchte nach Kriegsende von 1945 bis 1948 unter und betätigte sich als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft und in verschiedenen Gewerben als kaufmännischer Angestellter. Die Spruchkammer Osnabrück stufte ihn am 23. März 1951 in einem Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer im NS-Regime ein. Bis 1958 nahm er eine Tätigkeit als Handelsvertreter in Oslo auf und wurde danach Empfänger von Sozialleistungen.
Mindestens 38 Exekutionen von polnischen landwirtschaftlichen Zwangsarbeitern in Baden
Für den Zuständigkeitsbereich der Staatspolizeileitstelle Karlsruhe wurden 1960 folgende 38 Exekutionen von polnischen landwirtschaftlichen Zwangsarbeitern im Zusammenhang mit „geschlechtsvertraulichen Beziehungen“ zu deutschen Frauen und Mädchen ermittelt:
Jan Kobus (erhängt am 5.4.1941 in Pfullendorf), Wladyslaw Skrzypacz (am 22.4.1941 in Oberschefflenz), Josef Ponczek (am 24.4.1941 in Hüfingen), Stanislaw Damaziak (am 7.5.1941 in Karlsruhe-Durlach), Stanislaw Janaszek (am 1.7.1941 in Gernsbach), Mieczyslaw Gawlowski (am 25.7.1941 in Ruschweiler), Josef Procel (am 7.8.1941 in Münchhof-Homberg bei Eigeltingen), Stanislaw Wielgo (am 25.8.1941 in Grenzach), Eugeniusz Pagacz (am 2.9.1941 in Salem), Stanislaw Zasada (am 16.10.1941 in Brombach bei Lörrach), Emil Puchelka (am 28.10.1941 in Saig über Titisee), Waclaw Zensykieci (am 29.10.1941 in Kandern), Bernhard Podzienski (am 14.1.1942 in Schiltach), Stefan Kozlowski (am 15.1.1942 in Hinterzarten), Johann Gumulka (am 11.2.1942 in Gundelfingen), Andrey Wrozek (am 12.2.1942 in Haslach/Oberkirch), Theodor Borowski (am 13.2.1942 in Hohenbodman), Rak (am 14.2.1942 in Kreenheinstetten), Marian Lewicki (am 5.3.1942 in Villingen), Stanislaw Piaskowski (am 9.3.1942 in Hardheim), Franz Koletzki (am 17.3.1942 in Bollschweil), Wladyslaw Szmehlik (am 10.4.1942 in Rohrbach im Kreis Sinsheim), Marian Grudzien (am 15.4.1942 in Säckingen), Josef Krakowski (am 15.4.1942 in Säckingen), Bruno Orczynski (am 15.4.1942 in Säckingen), Franz Salewsky (am 15.4.1942 in Lauterburg/Elsass), Jan Krol (am 19.5.1942 in Bötzingen), Ludwig Malczynski (am 27.5.1942 in Mimmenhausen), Ludwig Halczynski (am 29.5.1942 in Salem), Wladyslaw Rebetowski (am 5.6.1942 in Tennenbronn), Jan Mroczek (am 17.7.1942 in Freiamt), Josef Makuch (am 5.8.1942 in Helmsheim), Ludwig Szymanski (am 8.10.1942 in Watterdingen), Josef Bestry (am 9.10.1942 in Jestetten), Josef Stempniak (am 10.10.1942 in Weizen im Kreis Waldshut), Franciszek Strojowski (am 13.10.1942 in Ichenheim), Josef Wojcik (am 13.10.1942 in Ichenheim) und Jan Ciechanowski (am 24.11.1942 in Haslach im Kinzigtal).
Beispiele für Gedenkorte für erhängte polnische landwirtschaftliche Zwangsarbeiter in Baden (von links nach rechts): das Sühnekreuz am Tannhörnle bei Villingen für Marian Lewicki, ein Gedenkstein für Stanislaw Zasada in Brombach bei Lörrach (sein Schicksal wurde 1978 von Rolf Hochhuth in dem Roman „Eine Liebe in Deutschland“ bearbeitet und 1983 von Andrzej Wajda verfilmt), die Polenlinde in Salem für Eugeniusz Pagnacz und Ludwigk Walczynski sowie das Polenkreuz in Owingen-Hohenbodman für Theodor Borowski.
Bernhard Steinhoff, der an mindestens zwanzig Exekutionen teilgenommen hatte, erinnert sich nur noch allgemein an Abläufe von Hinrichtungen in Baden, jedoch nicht mehr konkret an die in Oberschefflenz oder zwei Tage später an die des Polen Ponczek in Hüfingen: „ich kann mich nicht mehr an Einzelheiten erinnern“. Die Gemeindeverwaltungen und Gendarmerieposten waren dafür zuständig, die Vorbereitungen durchzuführen, das heißt ein Fahrzeug bereitzustellen, „von dem der Delinquent beim Erhängen heruntergestoßen wurde“ und „die in der Umgebung wohnenden polnischen Zivilarbeiter in der Nähe des Exekutionsplatzes zu versammeln.“ Als Dolmetscher eröffnete Steinhoff in einigen Fällen „dem Delinquenten, dass er am nächsten Tag exekutiert werde und fragte ihn nach seinen letzten Wünschen, übersetzte bei der Aktion „dem Delinquenten das Todesurteil, das ihm vorher vom Leiter der Staatspolizeileitstelle Karlsruhe oder dessen Vertreter in deutscher Sprache vorgelesen worden war, in polnischer Sprache“ und erklärte „den polnischen Zivilarbeitern der Umgebung, die zur Abschreckung an den Exekutierten vorbeigeführt wurden, in polnischer Sprache, warum die Erhängung durchgeführt worden ist, und dass jeder das Gleiche erwarten müsste, der gegen die gegebenen Richtlinien verstößt.“ Nach Steinhoffs Erinnerung enthielt das Urteil den Wortlaut: „Sie werden auf Befehl des Reichsführers der SS und Chef der Deutschen Polizei heute hier gehängt.“
Die eigentliche Exekution, also „das Anbringen des Strickes und das Herunterstoßen vom Wagen“ sei „von anderen polnischen Zivilarbeitern durchgeführt“ worden. Man habe „willkürlich andere polnische Zivilarbeiter gefragt, ob sie gegen eine Bezahlung [von fünf Mark] die Exekution durchführen würden.“ „Der immer hinzugezogene Kreisarzt stellte den Tod des Delinquenten fest, worauf dieser dann von irgendeiner Universität – pathologisches Institut abgeholt worden ist. Bevor der Erhängte wieder abgehängt wurde, mussten die übrigen polnischen Zivilarbeiter daran vorbei defilieren. Sie zogen stumm an ihrem toten Landsmann vorüber. Zu irgendwelchen Ausschreitungen ist es nie gekommen. Ich habe nie erlebt, dass anlässlich einer solchen Exekution ein Geistlicher dem Delinquenten hätte beistehen können.“
Die häufige Teilnahme habe in Steinhoff „eine sehr starke seelische Belastung“ hervorgerufen, da er „mit diesen Maßnahmen innerlich nicht einverstanden“ gewesen sei und „nicht verstehen konnte, dass ein Mensch wegen eines solchen Deliktes sein Leben verwirkte“. Er habe deshalb Ende 1941 seine Versetzung betrieben, was ihm 1942 bewilligt worden sei, sodass er dank guter Beziehungen von Konstanz nach Karlsruhe zum „Referat für Russeneinsatz“ bei der Staatspolizeileitstelle versetzt worden sei.