Keine Wahlempfehlung: Johann Martel (AfD)

Keine Wahlempfehlung für Walldürn: Bürgermeisterkandidat Johann Martel (AfD)

2. Juli 2023, Autor: Arno Huth

Eigentlich könnte „Mosbach gegen Rechts“ die Bürgermeisterwahl in Walldürn am 9. Juli 2023 egal sein, wenn der dritte Kandidat Johann Martel nicht Kreisvorsitzender der AfD Neckar-Odenwald-Kreis wäre und wenn die Bürgermeisterwahl vermutlich dessen letzte politische Ambition bliebe. Danach sieht es aber nicht aus: 2019 hatte er schon bei den Kommunalwahlen kandidiert sowie 2021 bei den Landtagswahlen und für einen Listen- und Erststimmenplatz seiner Partei für die Bundestagswahl.

Beflügelt wird die Kandidatur Martels durch die guten Umfragewerte seiner Partei und zusätzlich noch durch die Wahl des AfD-Kandidaten Sesselmann zum Landrat in Sonneberg. Was unerfreulicherweise in Thüringen gelungen ist, wird in Walldürn und im Neckar-Odenwald-Kreis hoffentlich niemals der Fall sein, auch wenn die AfD Walldürn schon glaubt frohlocken zu können: „Weil Robert Sesselmann und Sonneberg kein Einzelfall sein dürfen: Wählt Johann Martel zum ersten AfD-Bürgermeister in Westdeutschland!“ Dieser Titel ist übrigens schon 2018 nach Burladingen vergeben worden, und zwar nicht durch eine Wahl…

Es geht hier nicht um eine Beurteilung der kommunalpolitischen Positionen von Johann Martel hinsichtlich Stadtentwicklung oder ähnlichem, wo es eher um pragmatische Fragen geht (Sanierung der Stadthalle, Kinderspielplätze usw.). Der AfD-Kreisvorstand scheint aber bewusst entschieden zu haben, dass Martel weniger als Person, sondern „als AfD-Kandidat“ antritt. Daher soll er hier auch als solcher betrachtet werden. Dass er vor allem vom bundesweiten Aufwärtstrend der AfD profitieren will und nicht nur auf sein kommunalpolitisches Profil setzt, verdeutlicht Martel auch mit seiner Einladung von landes- und bundesweiter AfD-Prominenz (Anton Baron, Markus Frohnmaier und Martin Hess) zu einer Vortragsveranstaltung am 1. Juli nach Altheim.

Diffuse politische Verortung innerhalb der AfD

Johann Martel war 2017 in die AfD eingetreten. Seine Wahl zum neuen Vorsitzenden des AfD-Kreisverbandes Neckar-Odenwald im März 2019 war für Außenstehende etwas überraschend. Er löste damit Uwe Wanke ab, der sich mit dem Kreisverband überworfen hatte und diesem vorwarf, von der damaligen rechtsextremen AfD-Strömung „der Flügel“ übernommen worden zu sein.

Johann Martel lässt sich schwer in eine Schublade seiner Partei stecken. So sympathisiert er einerseits mit rechtsextremen, völkischen Exponenten des „Flügels“, andererseits lud er auch schon eher rechtskonservative AfD-Politiker ein, und bei der Aufstellung der Landesliste für die Bundestagswahl 2021 schloss er sich dem Team der rechtspopulistischen Parteivorsitzenden Alice Weidel an (früher Investmentbankerin bei Goldman Sachs und bei der neoliberalen, rechtslibertären Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft).

In sogenannten sozialen Medien fällt Johann Martel immer wieder durch politische Unerfahrenheit auf. Beispielsweise likte er 2018 eine Phantasie, die ein Frauengesicht unter einem Stahlhelm zeigt, mit dem Titel „Wir sind Germanen, wir geben nie auf“. Im Oktober 2018 teilte er von einer AfD-Veranstaltung in Möckmühl mit André Poggenburg mit (Foto): „Hallo …, es ist eine Veranstaltung bei uns in Möckmühl. Wir versuchen jetzt das Volk wach zu bekommen, um unser Land zurück zu holen.“ André Poggenburg vom „Flügel“ trat 2019 aus der AfD aus und gründete eine Partei rechts davon.

Als frisch gebackener Kreisvorsitzender lud Martel zu einer „Informationsveranstaltung“ mit anschließendem „Bürgerdialog“ am 3. April 2019 in die Stadthalle Buchen ein. Obwohl die AfD im ganzen Kreis dafür geworben hatte, wurden mindestens vier Bürger*innen vor der Halle ungefragt fotografiert und durch Türsteher abgewiesen. Auch der Kreisvorsitzende Johann Martel, direkt darauf angesprochen, dass er selbst doch in seiner Videobotschaft in sozialen Netzwerken „alle“ „Mitbürger“ eingeladen habe und sich auf zahlreiche Besucher freue, erklärte dazu nur, dass dies sein könne.

In einem Leserbrief vom 30. März 2019 in den FN verlangte Johann Martel, dass „sich die Projekte ‚gegen rechts‘ wieder zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen“ müssten und rückte sie pauschal in die Nähe von Linksextremisten und Gewalttätern. In einer Erwiderung eine Woche später wurde klargestellt, dass sich die Projekte „gegen rechts“ im Neckar-Odenwald-Kreis sehr wohl zu einer „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ bekennen. Beispielsweise trete „Herz statt Hetze Neckar-Odenwald-Kreis“ „für eine offene Gesellschaft“, „für Menschen, für Toleranz, für Freiheit und Demokratie“ ein.

Hier eine eher bürgerlich-konservative Veranstaltung der AfD NOK am 15. Mai 2019 kurz vor der Europawahl in der Alten Mälzerei in Mosbach zum Thema „Religion und AfD“ mit Joachim Kuhs (Christen in der AfD), Vera Kosova (Juden in der AfD) und dem großen Kreisvorsitzenden Johann Martel (auf der Leinwand).

Die Einladung von Vera Kosova (Juden in der AfD) mit rechtszionistischen Positionen hält Johann Martel allerdings auch nicht davon ab, in sozialen Medien gelegentlich antisemitische Verschwörungstheorien zu liken, wie 2021 beispielsweise dieses hetzerische Video „Viele Migranten sind bezahlte Söldner“ aus dem Jahr 2016, welches das Narrativ vom „großen Austausch“ bzw. von „Umvolkung“ aufgreift und Migranten als eine bedrohliche gewalttätige Masse entmenschlicht darstellt:

„Rothschild-Juden verdienen an orchestrierter Migranten-Flut“, „Gross-Israel ist schon auf der Münze“ und eine Nazi-Familie mit „Wehrt Euch Volksgenossen! Ein Volk hilft sich selbst!“

Variationen dieses Verschwörungsmythos benutzten etliche Rechtsterroristen zur Rechtfertigung ihrer Morde, unter anderem Anders Breivik 2011 in Norwegen (77 Tote), Robert Bowers 2018 in der Synagoge in Pittsburgh (11 Tote), Brenton Tarrant 2019 in Neuseeland (51 Tote) oder Tobias Rathjen 2020 in Hanau (9 Tote). Johann Martel ist natürlich kein Rechtsterrorist. Unreflektierte Anfälligkeit für Verschwörungstheorien ist aber sicherlich schädlich für das Zusammenleben in einer Gemeinde und damit keine gute Qualifikation für das Bürgermeisteramt in Walldürn.

Angesichts der Trauerbekundung des Bundespräsidenten nach den Morden in Hanau fiel Johann Martel nichts Besseres ein, als einen Kommentar der rassistischen Bewegung Pegida zu teilen, auf dem steht: „Schaut Euch diese Heuchler an!!! Wenn Deutsche durch illegale Migranten getötet werden, findet so ein Schauspiel nicht statt!“ Anmerkung: Der Gründer von Pegida ist der wiederholt wegen Einbruchdiebstahl, Drogenhandel und Körperverletzung verurteilte Lutz Bachmann.

Berührungen mit dem „Flügel“

Anfang Mai 2019 nahm Johann Martel beim süddeutschen Treffen der inzwischen aufgelösten rechtsextremen AfD-Strömung „der Flügel“ im fränkischen Greding teil. Vielleicht hatte ihn auch die AfD-Landtagsabgeordnete Dr. Christina Baum vom Main-Tauber-Kreis mitgenommen. Baum ist die führende Protagonistin dieser Strömung in Süddeutschland, wurde auch schon als „Höcke des Südens“ bezeichnet und hat einige Zeit lang immer wieder Einfluss auf den AfD-Kreisverband Neckar-Odenwald genommen als gemeinsame Kandidatin für den Bundestagswahlkreis Odenwald-Tauber. In ihrer Rede formulierte Christina Baum einen nationalistischen Appell: keine Experimente und Schluss mit Multikulti, denn „skrupellose antideutsche Politiker und Ideologen hätten Deutschland an die Wand gefahren, freudig und sklavenhaft unterstützt von ihren Vasallen der Presse.“ Deutschland müsse deutsch bleiben. „Holen wir uns unser Land zurück“. Wie mit den „Vasallen der Presse“ umzugehen ist, demonstrierte der Freiburger AfD-Politiker und Rechtsanwalt Dubravko Mandic, als er Pressevertreter aggressiv anging, bis schließlich die Polizei eingriff. Mandic wurde daher im Juli 2021 zu einer Geldstrafe wegen Nötigung verurteilt. Vor dem Hintergrund der Europawahl im selben Monat griff Björn Höcke in seiner Rede die EU an: Die EU-Apparatschiks und ihre „willigen Vollstrecker in den deutschen Altparteien“ würden Europa nur noch als ein wirtschaftstechnokratisches Siedlungs- und Ausbeutungsgebiet für alle Menschen dieser Welt sehen. Als Höhepunkt wurden im Anschluss an Höckes Rede alle drei Strophen des Deutschland-Liedes im Saal gesungen, ein „kalkulierter Tabubruch“ – wenn auch nicht gesetzlich verboten: „Deutschland, Deutschland über alles“. Mit Maas, Memel, Etsch und Belt werden Flüsse als Grenzen eines Deutschlands besungen, die selbst damals nicht zu Deutschland gehört haben.

Kommunalwahlen im Mai 2019 und die AfD im Gemeinderat Walldürn

Bei den Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 im Neckar-Odenwald verfehlte Johann Martel den Einzug in den Kreistag. Bei der Gemeinderatswahl in Walldürn erzielte die AfD bei sieben Kandidaten immerhin zwei Sitze, wobei jedoch auch hier Johann Martel leer ausging, vielleicht weil er in dem kleineren Ortsteil Altheim kandidierte.

Einer der beiden gewählten AfD-Stadträte erschien zu keiner Sitzung und beantragte ein halbes Jahr später sein Ausscheiden. Seine Ersatzkandidatin verzichtete aus familiären Gründen, das Amt anzutreten. Erst im Dezember 2019 konnte ein Nachrücker verpflichtet werden.

Dann im Januar 2021 fehlten bei der Verabschiedung des Walldürner Haushaltsplanes beide AfD-Stadträte. Stattdessen gab der AfD-Kreisvorsitzende Johann Martel – der kein Mitglied des Walldürner Gemeinderats ist – einen Redebeitrag zum Haushaltsplan ab. Entgegen den Behauptungen der AfD Walldürn in sozialen Netzwerken galt die Haushaltsrede der Zweimannfraktion damit nicht als „zu Protokoll gegeben“. Bürgermeister Günther habe den Ablauf wie folgt beschrieben: „Ein Dritter gibt ein nicht unterschriebenes Pamphlet ab“, was laut Gemeindeordnung so nicht vorgesehen sei.

Bei einer Veranstaltung gegen die „Lügenpresse“ Januar 2020 vor dem SWR in Baden-Baden

Am 4. Januar 2020 nahm Johann Martel an einer Kundgebung gegen die GEZ vor dem Gebäude des SWR in Baden-Baden teil und befand sich dabei in übler Gesellschaft. In seinem Aufruf beschuldigte der Rechtsextremist und AfD-MdL Stefan Räpple „die linksextremen Medienleuten“ des SWR, dass sie „ungestraft ihr wirres Weltbild auf die Bürger niederprasseln“ ließen und sie gegeneinander aufhetzen würden, „linke Propaganda“, „Manipulation“ und „Deutschenhass“ verbreiten würden und „Kinder-Indokrination“, „Schautribunale in Talkshows“ sowie Behinderten- und Seniorendiskriminierung“ betreiben würden.

Nicht weniger hetzte der damalige Freiburger AfD-Stadtrat Dubravko Mandic. Er drohte: „Wir werden sie aus ihren Redaktionsstuben vertreiben!“ und animierte die 150 Versammelten zu „Lügenpresse“-Sprechchören. Er warf den SWR-Mitarbeitern vor, zu lügen, „dass an ihren Händen Blut klebt“ und Teil einer Verschörung zu sein: „Sie wissen genau, wem sie dienen.“ Er kündigte an: „Dereinst werden sie für ihre Verbrechen zahlen müssen.“

Hier ließ sich Johann Martel mit dem damaligen AfD-Landeschef Dirk Spaniel fotografieren, der als parteiinterner Gegenspieler des sich eher bürgerlich gegebenden AfD-Landesfraktionschef Bernd Gögel galt. Spaniel wird dem früheren AfD-„Flügel“ zugeordnet, kooperiert im jetzigen Bundestag mit der politischen Höcke-Freundin Dr. Christina Baum vom Main-Tauber-Kreis und hat Kontakte zum rechtsextremen Umfeld der AfD wie der Pseudo-Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ und dem Magazin „Compact“.

Ob auch Johann Martel „Lügenpresse“ mit skandierte, wissen wir nicht. Wie will er mit so einer Einstellung aber im Falle seiner Wahl zum Bürgermeister von Walldürn einen guten Umgang mit der Lokalpresse wie RNZ und FN pflegen?

Schon etwa vier Monate davor hatte die AfD Neckar-Odenwald Räpple nach Walldürn zum Thema „Die GEZ muss weg. Volksbegehren gegen die Zwangsfinanzierung öffentlich-rechtlicher Medien durch freie Bürger“ eingeladen.

Mehr als die öffentlich-rechtlichen Medien liegen Johann Martel anscheinend solche rechtsextremen Hetzer wie der Blogger und Youtuber Tim Kellner. Aus Solidarität reisten Martel und zwei Kumpane von der AfD NOK am 27. Februar 2020 zum Prozess der SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli gegen Kellner, der diese in einem Video als „Quotenmigrantin der SPD“ und als „islamische Sprechpuppe“ beleidigt hatte.

Johann Martel reist immer wieder zu Feiern und Aktionen von Rechtsextremen aus der AfD: Am 3. Oktober 2020 war er bei Björn Höcke und Dr. Christina Baum beim „Familientag“ in Vacha, im Oktober 2022 bei einer Wahlparty in Thüringen oder am 30. Mai 2021 als Wahlkampfhelfer in Sachsen-Anhalt.

Vorbild Björn Höcke

Vielleicht berauschte sich Johann Martel an einem pathetisch inszenierten Video, das er im Februar 2021 likte und das den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke als aufrichtigen, idealistischen Menschen und nationalen Führer erhöht, ihn einerseits bescheiden und hingebungsvoll darstellt und zugleich heroisiert. Zum Glück fehlten die Massen für einen Nürnberger Reichsparteitag.

Es wird aus Höckes gefeierter Rede vom Kyffhäuser-Treffen des Flügels von 2018 zitiert, wonach die AfD kurz davor stehe, „die einzig relevante Volkspartei in Deutschland zu werden“. Höcke beschwört laut werdend: „es rutscht etwas durch, das Alte und Morsche zerfällt vor unseren Augen, der Mantel der Geschichte weht an uns vorbei, ergreifen wir ihn, halten wir ihn fest und lassen wir ihn nicht mehr los, bis die Zukunft unserer Heimat, unseres Volkes, unserer Nation, unseres geliebten deutschen Vaterlandes gesichert ist.“

Beim gleichen Kyffhäuser-Treffen hatte Höcke mit Anspielung auf ein Goebbels-Zitat gefragt: „Heute lautet die Frage: Schaf oder Wolf.“ und unter Beifall gleich geantwortet: „Und ich, nein, wir entscheiden uns in dieser Lage Wolf zu sein.“ Derselbe Wolf im Schafspelz, Höcke, inszenierte sich während des aktuellen Kriegs Russland gegen die Ukraine vor einer Friedenstaube. Vor über zehn Jahren hatte Björn Höcke unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ für Blätter der NPD geschrieben und war am 13. Februar 2010 auf einer Demonstration an der Seite von Neonazis fotografiert worden.

Das Höcke-Video war nicht das einzige Video oder Sharepic über Höcke, das Johann Martel teilte.

Direktkandidat für die Landtagswahl Baden-Württemberg im März 2021

Schon im Februar 2020 wurde Johann Martel einstimmig zum Kandidaten der AfD Neckar-Odenwald für die ein Jahr später stattfindende Landtagswahl Baden-Württemberg nominiert. Er erhob „den Kampf um den Erhalt der Automobilindustrie in Baden-Württemberg zum zentralen Thema der kommenden Legislaturperiode“. Weitere Anliegen seien ihm die Familienpolitik und „die Verhinderung weiterer Windkraftanlagen“. Schwerpunkte seiner Aktionen waren jedoch aufgrund der veränderten politischen Lage Agitationen gegen Lockdowns und andere Anti-Corona-Maßnahmen – zu einem Zeitpunkt, als noch keine Impfstoffe gegen Corona verfügbar waren. Die Politik sei „ohne Plan und Verhältnismäßigkeit“.

Dazu lud die AfD NOK beispielsweise im August 2020 die MdB Markus Frohnmaier und Franziska Gminder mit dem AfD-Infomobil nach Mosbach ein, organisierte im Spätherbst 2020 in Buchen und in Mosbach die Aktion „Leere Stühle, leere Kassen“ und demonstrierte am 23. Januar 2021 zur „Rettung des Mittelstandes“ durch Mosbach, dem angesichts der Corona-Maßnahmen und ohne finanzielle Unterstützungen die Pleite gedroht hätte. Populistisch beklagte Martel auf seinem Flyer unter anderem eine „Politik gegen das Auto“, „Bildungsexperimente“ und eine „ideologisierte grüne Klimaschutzpolitik“. Verantwortlich für die Demo war der Kreisvorsitzende Johann Martel; die umgehängten Plakate der Teilnehmer*innen waren vorgedruckt und vermutlich vom Kreisverband vorbereitet.

Dazu zählte auch eine schwulenfeindliche Parole gegen den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn: „Spahn lässt nun die Arbeit ruh’n / Freut sich auf den After nun“, anstatt sich sachlich beispielsweise gegen neoliberale Gesundheitspolitik zu positionieren (Unterfinanzierung der Krankenhäuser, die Absicht Hunderte Krankenhäuser zu schließen, Privatisierung des Gesundheitswesens usw.).

Vom Narrativ der „Corona-Diktatur“ zur Leugnung der anthropogen verursachten Klimazerstörung

An dieser Stelle bringt es nichts näher zu diskutieren, ob mit manchen Corona-Maßnahmen überzogen wurde, wie sinnvoll manche waren oder nicht, die schlechte wissenschaftliche Studienlage in Deutschland, welche fremde und oft intransparente Interessen mitspielten (es gab keinen Lockdown für den Kapitalismus), wer in den Genuss von finanziellen Corona-Hilfen kam und wer nicht, ob und inwieweit Maßnahmen vom Überwachungskapitalismus oder -staatlichkeit bestimmt waren, Demokratie temporär aus Gründen der tatsächlichen oder vermeintlich Effektivität der Pandemiebekämpfung eingeschränkt wurden, inwieweit der Versuch, die Impfpflicht indirekt (über 2G) oder direkt durchzusetzen, übergriffig (weil nicht unbedingt notwendig) war. Solche vielleicht berechtigte Fragen taugen hier nichts, da sie vom Thema (der Bürgermeisterkandidat Martel) ablenken würden.

Inakzeptabel ist es aber, wenn statt einer emanzipatorischen Untersuchung oder Kritik der Corona-Politik Verschwörungsmythen aufgebaut werden oder diese Corona-Politik gar zu einer globalen Verschwörung dämonisiert wird, die sich wahlweise mal gegen Deutschland oder gegen die Menschheit, die Freiheit oder eine angeblich nationale Lebenskultur richten würde (ein rechtes Verschwörungsnarrativ, die „Corona-Diktatur“ diene der Vorbereitung auf nicht näher definierte imaginierte „Klima-Lockdowns“ in einer „grünen Diktatur“ und der Durchsetzung der Deindustrialisierung Deutschlands durch eine Verbotspolitik).

So schreibt Martel am 5. März 2021 in den FN: „Ob ’nach‘ Corona alle Bürger (oder zum Beispiel nur Geimpfte) alle Grundrechte zurückbekommen, ist ebenso zweifelhaft, wie die neueren Forderungen, aufgrund des Klimawandels weiter Grundrechte einzuschränken.“ Welche Grundrechte Martel damit meint, schreibt er nicht, vermutlich meint er weniger Grundrechte oder „Freiheiten“, sondern eher sich sozial tarnende Wohlstandsprivilegien. Stattdessen seien Umweltschützer „Lobbyisten“, „die alle paar Jahre ein neues Weltuntergangsszenario finden“ wie beispielsweise den „Klimawandel“. Im Widerspruch zu fast allen wissenschaftlichen Untersuchungen weiß Johann Martel bei der Kandidatenvorstellung in Walldürn: „Ob der Klimawandel menschengemacht ist oder nicht, ich glaube, das kann hier niemand bewantworten“.

Gegenüber der RNZ (5. März 2021) erklärte Johann Martel, wie er sich den Neckar-Odenwald-Kreis wünscht: „Kein Bock auf linke Fantastereien: Der Neckar-Odenwald bleibt konservativ.“ Martels Rechtskonservativismus wird aber sowieso keinen Bestand haben: entweder es kommt klimapolitisch und gesellschaftlich zu einem globalen Umdenken und Gegensteuern – also auch im Neckar-Odenwald –, oder die Klimazerstörung wird schwer vorstellbare Ausmaße annehmen mit immer katastrophaleren Folgen – global (wenn auch vielleicht unterschiedlich stark verteilt) und natürlich auch im Neckar-Odenwald, und damit wahrscheinlich auch für Johann Martels Heimat und seine Kinder und Enkel.

Frohe Ostern: Solidarität in Zeiten von Corona und Klimawandel

Den gemeinsamen Osteraufruf 2021 „Achtsam, aufrecht, insbesondere aber solidarisch bleiben“ des Landrats, der drei Dekane, eines Vertreters der Initiative „Herz statt Hetze“ und anderen angesichts „menschenverachtender Positionen“ von „Corona-Leugnern“ bezeichnete Johann Martel als „das lächerlichste Wort zum Ostersonntag, seit es Ostern gibt“ und verglich die Mission der AfD mit der von Jesus Christus: „Wenn es Jesus geschafft hat, den Felsen vor seinem Grab wegzurollen, um in die Freiheit und ins Leben zu treten, schaffen wir es auch, die Regierung abzuwählen, um uns aus der Knechtschaft des Lockdowns zu befreien!“. Die mitunterzeichnende Initiative „Herz statt Hetze NOK“ denunzierte er als „linksradikal“.

Hetze statt Herz oder „Herz statt Hetze“

In seinem Programm für die Bürgermeisterwahl relativiert er dann wieder und spricht nur noch von dem „SPD-geführten linken Bündnis“, dem er „Auftrittsverbot … an unseren Schulen“ erteilen möchte. Martel begründet dies mit seiner Ablehnung gesellschaftlicher Vielfalt: „Dieses Bündnis organisiert Veranstaltungen für Schüler, in denen es um die Förderung von LGBTQ-Ideologie und antideutschen Ressentiments geht. Sollte ich zum Bürgermeister gewählt werden, wird dieses linksgrünrote Bündnis von allen Schulen unserer Stadt fernbleiben.“

Er negiert damit das integrierende und zivilgesellschaftliche Engagement des Bündnisses und die Bedeutung von Selbstfindung und Akzeptanz insbesondere für Jugendliche gesellschaftlicher Minderheiten. Wenn Martel behauptet, dass die Aktivitäten des Bündnisses „Herz statt Hetze“ „Spaltung“ sei, so verdreht er Ursache und Wirkung. Martel beklagt, „die Menschen dort lassen keine anderen Argumente zu“. Warum sollte es aber auch Toleranz geben für Hass, Hetze, Verhöhnung und Beleidigungen gegen gesellschaftliche Minderheiten, Migrant*innen und andere „Fremde“, gegen Schwule und Lesben, Klimaschützer*innen, die Medien usw.

Wie will Johann Martel mit einer solchen Haltung im Falle seiner Wahl als Bürgermeister integrierend wirken, wenn er einerseits laut seiner Aussage in den FN vor allem „den Bürgern zuhören will“ – allen Bürgern oder welchen? –, „um die wahren Probleme Walldürns zu erkennen“. Und was sind wahre Probleme? Und gehören dazu auch das Zusammenleben und die Inklusion aller Menschen in ihrer Vielfalt?

Ignoranz gegenüber den Folgen der Klimazerstörung für die zukünftigen Generationen

Martel wendet sich in seiner Bürgermeisterbewerbung gegen „die zunehmende Verspargelung des Odenwalds mit Windrädern“ und spricht sich gegen Windräder auf Walldürner Gemarkung aus. Antworten auf den Klimawandel will er aber keine geben.

In seiner Stellungnahme gegen den Redebeitrag von Mosbach gegen Rechts auf der großen Klimaschutzdemo in Mosbach im September 2019 erklärte er, dass die AfD die Klimaveränderungen zwar nicht in Frage stelle, aber den menschlichen Einfluss darauf. Angeblich hätten „sich immer wieder bedeutende Beweise als Fälschungen herausgestellt“. Martel fragte suggestiv, „ob Deutschland mit seinem minimalen Anteil am CO2-Ausstoß eine Auswirkung … aufs Klima nehmen kann“ und behauptete in einem solchen Falle „eine positive“ Auswirkung. Heute wäre Martel darauf zu antworten, ob er damit beispielsweise die Flutkatastrophe im Ahrtal meint, oder die zunehmenden Dürren vor allem in Ostdeutschland und dadurch verminderte Ernten, die steigende Zahl der Tage mit Temperaturen von über 30 Grad, vermehrte Waldbrände auch in Deutschland, Wassermangel auch aufgrund des Abschmelzens der Gletscher als Wasserspeicher usw.

Die Erklärung Martels, „Wissenschaft basiert zudem nicht auf demokratischer Abstimmung, sondern auf Erkenntnissen und ergebnisoffener Forschung“, enthält implizit seine Unterstellung, dass der anthropogen verursachte Klimawandel keine Tatsache, sondern eine politische Erfindung sei. Anstatt sich ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels und seinen verheerenden globalen Folgen für zukünftige Generationen auseinanderzusetzen, plappert Johann Martel lieber irgendwelche demagogischen Behauptungen seiner Partei, von Lobbyisten der fossilen Industrie und rechtslibertären Netzwerken nach.

Seine Ignoranz spiegelt sich auch in der Missachtung einer Einladung zur Podiumsdiskussion von „Fridays for Future“ und dem „Bündnis für Klimaschutz Neckar-Odenwald-Kreis“ zur Landtagswahl 2021 wider, auf welche Martel nicht reagiert hatte, während die AfD bei anderen Anlässen immer wieder die Ausgrenzung und den Ausschluss ihrer Partei aus der öffentlichen Diskussion in Medien und Gesellschaft beklagt. Nach den Wahlen jammerte Martel dann, dass „mit den Grünen der Weg in den Öko-Sozialismus drohe“ und sich die CDU in schwarz-grünen Koalitionen „den grünen Bevormundungen und sozialistischen Forderungen“ unterwerfe.

Pauschal lehnt er Windräder auf Walldürner Gemarkung ab. Er führt dazu ein paar Mythen über angebliche Schäden durch Windräder an. Anstatt plump „die zunehmende Verspargelung des Odenwalds mit Windrädern“ zu beklagen, sollten lieber die bisher politisch abgewürgten Chancen von genossenschaftlichen Projekten zur Gewinnung von erneuerbaren Energien ergriffen werden, die durch Gewinnbeteiligungen der Bürger*innen mehr Akzeptanz erhalten würden.

Kleine Nebensächlichkeit: Geschlechterverwirrung vor lauter „gender“

Zum Tag der Pflege am 12. Mai 2021 versuchte Johann Martel in einem Facebook-Kommentar seine Wertschätzung für Pflegekräfte auszudrücken. Irgendwo muss er gelesen haben, dass dieser Tag auf den Geburtstag von Florence Nightingale zurück geht. Martel schrieb „ … Florence Nightingale, der als Pionier der modernen Krankenpflege gilt“. Das ist zwar nett gemeint, zeugt aber von Unkenntnis oder oberflächlichem Nachlesen: denn Florence Nightingale war kein Mann, sondern eine Frau.

Landtagswahl 14. März 2021: Relativer Erfolg für Johann Martel

Bei der Landtagswahl im März 2021 im Neckar-Odenwald-Kreis wurde die AfD mit 12,35 % drittstärkste Partei (2016 noch 18 %), während sie landesweit mit 9,7 % nur auf dem fünften Platz lag (2016 noch 15,1 %). Top-Ergebnisse erzielte sie in Hüffenhardt mit 21,5 %, in Martels Heimatgemeinde Walldürn mit 14,7 %, in Aglasterhausen mit 14,5 %, in Adelsheim mit 14,4 %, in Fahrenbach mit 14,3 % und in Osterburken mit 14,2 %.

Eine AfD-interne Wahlauswertung konstatierte einen „Promi-Malus statt Promi-Bonus“; „die B- und C-Prominenz der AfD“ habe „bessere Ergebnisse eingefahren, was wiederum darauf zurückzuführen ist, dass diese Personen von Massenmedien noch nicht stigmatisiert wurden“. Einen „positiven Effekt“ hätte die „gemeinsame Wahlkampfzeitung mit leichten regionalen Änderungen“ der „Wahlkreise Eppingen (Rainer Podeswa), Neckarsulm (Carola Wolle) und Neckar-Odenwald (Johann Martel) gehabt: „Podeswa und Wolle konnten ihre Mandate behalten, Martel hat nur wenig für eines gefehlt“. Erwähnt wurde zudem der Straßenwahlkampf von „offensiver ausgerichteten Kandidaten wie Dubravko Mandic/Lörrach, Taras Maygutiak/Offenburg und Johann Martel/Neckar-Odenwald“.

Parteiinterne Kandidatur für einen Erst- und Zweitstimmenplatz

Etwa einen Monat nach der Landtagswahl verkündete Johann Martel, nun für die Bundestagswahl kandidieren zu wollen. Etwas überraschend schloss sich Johann Martel nun dem Team von Alice Weidel an, die ihm inhaltlich eigentlich wenig liegen dürfte. Vielleicht war dies aber auch Ausdruck der Konkurrenz zu Christina Baum, die ebenfalls für den Erststimmenplatz der AfD auf dem Wahlzettel für den Wahlkreis Odenwald-Tauber kandidierte und sich dabei gegen Martel durchsetzte.

Martel kam jedoch in der ersten Runde der Aufstellung der Landesliste nur auf Rang 34 und war damit im Gegensatz zu Christina Baum auf Rang 8 chancenlos.

Einmal bei den ganz Großen

Trotzdem durfte sich Johann Martel endlich einmal bei den ganz Großen vom ehemaligen AfD-“Flügel“ einreihen: vielleicht um auch die AfD Neckar-Odenwald aus dem gemeinsamen Wahlkreis Odenwald-Tauber besser in ihren Wahlkampf einzubinden, lud seine vorherige Konkurrentin Dr. Christina Baum bei ihrer Kundgebung in Lauda-Königshofen mit Björn Höcke und Maximilian Krah auch noch Johann Martel ein, was ihn sicherlich mächtig mit Stolz erfüllte.

Anders als die Reden der drei stellte Christina Baum kein Video von Martels Ansprache ins Netz. In diesen Videos fiel Martel bestenfalls als Schwenker von Baums Fahne „Kandel ist überall“ auf. In seiner Rede unterstellte Björn Höcke eingangs gleich wie der ehemalige US-Präsident Trump, dass es zu „Wahlkampfmanipulationen“, also Wahlbetrug kommen werde. Zudem breitete er das Szenario einer großen Weltverschwörung gegen Deutschland aus und behauptete, „die Kartellparteien“ würden „eine Zerstörungspolitik, einen Krieg gegen das eigene Land“ betreiben.

Twitter-Account gesperrt

Gegen Ende Mai 2022 meldete Johann Martel, dass sein Twitter-Account „wegen einer Lappalie gesperrt“ wurde. Möglicherweise war der Hintergrund, dass Johann Martel entsetzte Reaktionen auf das Kriegsverbrechen von Butscha völlig mitleidlos mit solchen Reaktionen auf „die Geschichte von Alan Kurdi“ verglich (das Foto zeigt den bei der Flucht über das Mittelmeer ums Leben gekommenen kleinen Jungen am Strand). Im ersten Fall als „Instrumentalisierung allerorten, von Selenski-Melnyk-Speichelleckern bis hin zu Putin-Q-Fetischisten“. Im zweiten Fall „weltweit als Propagandamittel für mehr Massenmigration“, womit er wieder die oben schon erwähnte Verschwörungserzählung vom „großen Austausch“ aufgriff.

Lasst nicht zu, dass die AfD ihre Androhung „Wir holen uns unser Land zurück!“ wahr macht! Wir brauchen keine blau-braunen Zonen wie im Osten Deutschlands, die für zahlreiche Menschen in ihrer Vielfalt das Leben schwer erträglich machen. Die Faschisierung des Alltags darf keine Normalität werden!

Gegen Hetze, Hass, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit! Für eine offene und solidarische Gesellschaft! Für ein gutes Leben für alle!