Redebeiträge von Arno Huth und Kai Stöhr
Für den Erhalt der Krankenhäuser im ländlichen Raum
Nur wenige Zeitungen berichteten Anfang dieses Monats über eine Erklärung des Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses GBA der Ärzte, Kliniken und Krankenkassen: Josef Hecken forderte darin – anscheinend unbeeindruckt von der Corona-Pandemie – eine Grundgesetzänderung: den Ländern solle die Planungshoheit für die Krankenhäuser entzogen werden. Denn Deutschland habe zu viele Krankenhäuser, weshalb ihre Anzahl von 1.900 auf 1.200 reduziert werden solle.
Mit seiner Forderung steht Hecken nicht alleine da. Vor wenigen Jahren empfahl die Bertelsmann-Stiftung die Reduzierung der Zahl der Krankenhäuser auf 600, die Leopoldina sogar auf 330. Auch der SPD-Gesundheitspolitiker und Mahner vor einer Überlastung der Krankenhäuser durch Corona-Patienten Dr. Karl Lauterbach forderte schon seit Jahren eine deutliche Reduzierung der Anzahl der Krankenhäuser. Und noch beim Anrollen der ersten Corona-Welle Mitte Februar 2020 wünschte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mehr Mut bei der Debatte um Krankenhausschließungen.
Auch der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha arbeitet an der Konzentration von Krankenhäusern bei Schwerpunkt- und Maximalversorgern und – wenn sie nicht komplett geschlossen werden – an der Abwertung von Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung zu sogenannten Integrierten Versorgungszentren, die oft auch andere klingende Namen wie beispielsweise Gesundheitscampus haben. Ihnen fehlen jedoch komplett oder weitgehend stationäre Betten sowie viele Fachabteilungen und Funktionen, wie sie Grund- und Regelversorger haben sollten: dazu gehören die Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Intensivstation und Notfallversorgung der Notfallstufe 1. Allgemein liegt für die Integrierten Versorgungszentren kein allgemein verbindliches Konzept vor. Inwieweit diese ihren Versorgungsauftrag erfüllen können, bleibt offen: so soll zum Beispiel der Notfallpraxis des Gesundheitszentrums Möckmühl schon wenige Jahre nach der vorangegangenen Schließung des dortigen Krankenhauses selbst das Aus drohen.
Federführend propagiert werden die Schließungen von Krankenhäusern durch die Gesundheitsökonomen und Professoren Reinhard Busse und Boris Augurzky, durch neoliberale Stiftungen und Institute wie die Bertelsmann-Stiftung, die Robert-Bosch-Stiftung, das RWI – Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung, die Technische Universität Berlin TU sowie Verbände und Institute von Krankenkassen (unter anderem das Barmer Institut für Gesundheitsforschung bifg, das Wissenschaftliche Institut der AOK WidO, der Verband der Ersatzkassen vdek). Sie begründen ihre Forderungen mit angeblichen Überkapazitäten und Qualitätsmängeln. Vorrangig dürften für diese Forderungen jedoch ökonomische Argumente sein: die Verweildauer in Deutschland sei zu hoch, kleine Krankenhäuser seien unrentabel, das Gesundheitswesen in Deutschland leide unter einer Kostenexplosion usw. Die Bertelsmann-Studie hatte einen Ballungsraum mit hoher Versorgungsdichte in Nordrhein-Westfalen untersucht, daraus aber verallgemeinerte Schlussfolgerungen für ganz Deutschland gezogen und damit auch für viele ländliche Gegenden mit weiten Entfernungen zu den nächsten Krankenhäusern. Pauschal behaupten diese Studien, es gebe hohe Überkapazitäten in Deutschland, wobei auch die angelegten Maßstäbe unklar bleiben: Wird beispielsweise an der durchschnittlichen oder maximalen Auslastung von Krankenhäusern gemessen.
Zum Hintergrund der Unterfinanzierung: Im Jahr 2004 wurde mit der Einführung der DRG-Fallpauschalen das Kostendeckungsprinzip abgelöst. Während die Krankenhäuser früher eine hohe Planungssicherheit in ihrer Finanzierung hatten, decken nun die Fallpauschalen jedoch nicht alle Behandlungs- und Betriebskosten ab. Bei vielen Krankenhäuser führten die Falkpauschalen nun zu einer Unterfinanzierung und damit zu teilweise hohen Defiziten. Jedes Jahr müssen viele öffentliche Haushalte von Land- und Stadtkreisen oder Kommunen Defizite in zum Teil Millionenhöhe ausgleichen, wenn sie ihren Versorgungsauftrag aufrecht erhalten wollen, oder sie ziehen private Investoren heran, die profitorientiert wirtschaften wollen mit entsprechenden Folgen für die Beschäftigten, die Qualität und gegebenenfalls das Leistungsangebot. Vier von zehn Krankenhäusern würden rote Zahlen schreiben und zusammenaddiert bewegen sich diese Defizite jedes Jahr im Milliardenbereich. Jedes zehnte Krankenhaus stehe kurz vor der Insolvenz, warnt der Bundesrechnungshof. 2019 betrug das Defizit der GRN-Kliniken im Rhein-Neckar-Kreis 5,4 Millionen Euro, wovon allein die Hälfte auf den Standort in Eberbach gefallen sei. Die Defizite der Neckar-Odenwald-Kliniken bewegen sich in den letzten Jahren zwischen 5 und 15 Millionen Euro, welche der Neckar-Odenwald-Kreis ausgeglichen hat.
Obwohl in Deutschland die Fallzahlen steigen, sank die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland von über 2.400 im Jahr 1991 auf rund 1.900 im Jahr 2020. Selbst im Corona-Jahr 2020 wurden etwa 20 Krankenhäuser geschlossen, die offiziellen Zahlen liegen noch nicht vor. Die Krankenhausbetten reduzierten sich im gleichen Zeitraum um etwa 170 Tausend auf unter 500 Tausend. Die durchschnittliche Verweildauer in Krankenhäusern sank von über 13 Tagen im Jahr 1992 auf 7,3 Tage im Jahr 2015 und sinkt seither kaum noch (7,2 Tage im Jahr 2019). Bei der Anzahl der aufgestellten Intensivbetten liegen widersprüchliche Angaben vor: sie sei von rund 20.000 in Jahr 1991 auf über 28.000 im Jahr 2017 gestiegen und dann auf etwa 26.000 im Jahr 2019 gesunken sein. Aktuell wird laut DIVI-Bettenregister von weniger als 24.000 betreibbaren Intensivbetten ausgegangen (mit einer Notfallreserve von etwa 10.000). Trotzdem hat Deutschland immer noch die höchste Intensivbettendichte weltweit, was sich in der Corona-Pandemie als großen Vorteil erwiesen hat. Hier von Überkapazitäten zu sprechen, wie es manche Gesundheitsökonomen, AfD-ler und querdenkende Menschen tun, ist unverantwortlicher Quatsch.
Gleichzeitig wird in Deutschland die Privatisierung im Gesundheitswesen vorangetrieben, unter anderem von Krankenhäuser, aber auch mittels der Ausgelagerung von Servicedienstleistungen wie Reinigungsarbeiten, Klinikapotheken usw. 1992 waren noch rund 45 % der Krankenhäuser öffentlicher Hand waren, 2018 waren es noch noch 29 %. Der Anteil der freigemeinnützigen Krankenhäuser fiel von 40 auf 34 %. Der Anteil der privatwirtschaftlichen Krankenhäuser hingegen stieg von 15 auf 38 %, was mehr als eine Verdoppelung ist. Dabei wird auf Kosten von Personal, Arbeitsbedingungen, Löhnen und Qualität gespart. Die vier großen privaten Krankenhauskonzerne erwirtschaften im Milliardenbereich Profite und schütten Dividenden an Aktionäre aus – eigentlich Gelder, welche die Versicherten als Beiträge gezahlt haben. Die privaten haben häufig keinen öffentlichen Auftrag und sind vor allem ihrer Wirtschaftlichkeit, ihren Gewinnen und ihren Aktionären verpflichtet. Sie können sich daher auch leichter auf lukrative Behandlungen spezialisieren, bei denen bei den DRG-Fallpauschalen hohe Erlöse übrig bleiben. So war das Corona-Jahr 2020 für die international tätige Krankenhauskette Helios mit rund 400 Millionen Euro in Spanien und 600 Millionen Euro Gewinn vor Steuern in Deutschland ein hervorragendes Jahr. Diese wanderten in die Konzernzentrale von Fresenius, zu dessen Geschäftsfeldern neben Krankenhäusern auch Medizintechnik gehört. Fresenius kündigte die höchste Dividende an, die sie jemals ausgeschüttet hat: fast eine halbe Milliarde Euro.
Es ist auch das DRG-Fallpauschalen-System, das Anreize zu unnötigen oder Fehlbehandlungen gibt oder zu Einfallsreichtum bei der Codierqualität einlädt, sodass besser abgerechnet werden kann. Zum Beispiel ist Deutschland bei der Anzahl der eingesetzten Kniegelenke europäischer Spitzenreiter. Ärzte, das Pflegepersonal und andere Krankenhausmitarbeiter werden angehalten, im Sinne von Wirtschaftlichkeit bei ihrer Arbeit, bei Behandlungen und in der Pflege zu handeln, anstatt ihrem eigentlichen Arbeitsethos zu folgen. Nicht unbedingt die Behandlungsqualität steht dann immer im Vordergrund, sondern die wirtschaftliche Effizienz. So laden die Fallpauschalen auch zu kurzen Verweildauern ein, weshalb manchmal in der öffentlichen Diskussion auch der Begriff von der „blutigen Entlassung“ auftaucht. Schnelle Entlassungen von Patienten besonders am Wochenende können zu Problemen bei der weiteren Versorgung zuhause oder im Heim führen, wenn die nachbetreuenden Hausärzte und Apotheken geschlossen haben.
Gleichzeitig wird in den letzten Jahren vermehrt mit der vermeintlich schlechten Qualität und angeblicher Lebensgefahr in kleinen Krankenhäuser reißerisch argumentiert. Dabei werden fragwürdige Behauptungen aufgestellt und mit individuellen Ängsten gespielt, zum Beispiel indem einzelne Diagnosen wie die Behandlung von Schlaganfallpatienten herausgepickt werden. Dazu erklärt das bundesweite Bündnis Klinikrettung: „Nicht in ihrer Studie Zukunftsorientierte Krankenhausversorgung erwähnt hatte 2019 die Bertelsmann Stiftung, dass viele Krankenhäuser des Grund- und Regelversorgung im Allgemeinen keine Herzinfarkt- und SchlaganfallpatientInnen behandeln“ und „in intelligente Schlaganfall- und Herzinfarktnetzwerke eingebunden sind, die eine sofortige Umleitung dieser PatientInnen in Krankenhäuser der Schwerpunkt- und Maximalversorgung garantieren“.
Weiter unter Druck geraten Grund- und Regelversorger, weil die Bundesländer ihrer Pflicht zu einer auskömmlichen Finanzierung der Krankenhaus-Investitionskosten nicht nachkommen. Es klafft eine Milliardenlücke zwischen den Kosten für notwendige Investitionen in den deutschen Kliniken und ihrer tatsächlichen Finanzierung. Es fehle Geld für Investitionen in Gebäude, Geräte und andere Neubeschaffungen. Betrug der ermittelte Investitionsbedarf der deutschen Krankenhäuser im Jahr 2019 deutlich über sechs Milliarden Euro, haben die Länder davon etwa die Hälfte getragen. Der Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gerald Gass beklagt: „Die nun schon Jahrzehnte anhaltende drastische Unterfinanzierung bei den Investitionskosten ist maßgeblich für Krankenhausschließungen verantwortlich. Anstelle dieses kalten Strukturwandels durch wirtschaftlichen Ruin muss wieder eine versorgungsorientierte Krankenhausplanung treten“. Kleinere Krankenhäuser sind bei der Investitionsförderung besonders benachteiligt, weil große Krankenhäuser verhältnismäßig gesehen geringere Fixkosten (pro Patient) haben.
Anstatt die Fördermittel zu erhöhen, haben Bund und Länder einen Strukturfonds eingerichtet. Aus diesem werden der weitere Abbau von Betten und die Schließungen von Abteilungen oder ganzen Krankenhausstandorten gefördert, seit 2016 mit jährlich einer Milliarde Euro, seit 2018 immer noch 750 Millionen Euro. Anstatt die Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung zu ertüchtigen, wurde 600 kleineren Krankenhäusern im Jahr 2018 die Zuschläge für die Notfallversorgung gestrichen. Wie planlos die Entwicklung des Krankenhauswesen geschieht, zeigt sich auch an einem weiteren Beispiel: Die Unterfinanzierung führte dazu, dass viele Krankenhäuser versuchten, ihr Angebot auszuweiten, um auch finanziell besser vergütete Behandlungen durchführen zu können. Dies erwies sich später unter Umständen jedoch wieder als Fehlinvestition: Um dem entgegen zu steuern, wurden Mindestmengenregelungen eingeführt und infolgedessen manchen Krankenhäusern bestimmte Behandlungen nun untersagt. Umgekehrt müssen Krankenhausdirektoren vor Jahresbeginn einen Wirtschaftsplan vorlegen. Werden von bestimmten Behandlungen dann mehr durchgeführt als veranschlagt, so drohen Abschläge als finanzielle Sanktionen. Wie aber können die Anzahl notwendiger Behandlungen zuverlässig vorhergesehen werden, kann es doch zu überraschenden Häufungen aufgrund bestimmter Umstände kommen – wie wäre es zum Beispiel durch die Schließung eines Krankenhauses oder einer Abteilung in einer benachbarten Region, durch eine Häufung von Erkrankungen, Unfällen oder anderem.
Oft ist es ist ein Jahre langer Prozess der Aushöhlung der Substanz der Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung, der einer realisierten oder drohenden Schließung vorausgeht. Ein aktuelles Beispiel ist die Helfenstein-Klinik in Geislingen im Landkreis Göppingen. Vor zwei Monaten beschloss der dortige Kreistag die Schließung dieser funktionierenden Klinik, die gerade eben noch vom Institut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als eine der 20 % besten Krankenhäuser in Deutschland ausgezeichnet wurde. In Medienberichten wird festgestellt: „Seit der Schließung der Geburtshilfe im Jahr 2011 hat die Helfenstein-Klinik in Geislingen Stück für Stück etwas von ihrer Identität verloren. Dazu gehören auch die Schließung der Küche, die Abschaffung der Gynäkologischen Abteilung und die Verlagerung der Verwaltung in die Klinik … in Göppingen.“ Aus Geislingen abgezogen wurden zudem „Zentrallager, … Kita, Krankenpflegeschule, Haustechnik“. Die Kreisverwaltung habe seit Jahren darauf hinarbeitet, die Helfenstein-Klinik ausbluten zu lassen. Mit bewussten Tricks sei das Haus schlechtgeredet worden.
Ziel der geplanten Schließung ist die Bündelung der Kapazitäten in Göppingen. Ob dies gelingt, wird bezweifelt: „Der Personalmangel werde sich durch das Schließen der Klinik nicht beheben lassen: Die allermeisten Mitarbeiter werden nie in Göppingen ankommen.“ Das Bündnis Klinikrettung erklärt dazu: „Krankenhäuser gehören aber zur Daseinsvorsorge, ihr Betrieb sollte sich nach dem Bedarf richten und nicht von der Wirtschaftlichkeit abhängen. Krankenhäuser sind mehr als stationäre Gesundheitseinrichtungen. Sie sind Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsangebote in der Region. Die Schließung der Helfenstein-Klinik hätte unabsehbare Folgen für die Region um Geislingen, namentlich:
• Die Entfernungen zum nächstgelegenen Krankenhaus steigen. Zusätzlich erschweren Gefälle und Steigungen die Anfahrt in die Klinik am Eichert. Die Anfahrzeiten für Notfälle werden deutlich länger. Rettungskräfte und Notärzte werden durch längere Fahrzeiten auch länger gebunden sein. • Regionale stationäre Vorsorgekapazitäten für Pandemien werden abgebaut. • Die praktische Ausbildung von Ärzten und Pflegekräften entfällt. • Benachbarte Pflegeheime können keine Pflegeschüler mehr für die praktische generalistische Pflegeausbildung in die Helfenstein-Klinik entsenden. • Es entfallen Ärzte der Helfenstein-Klinik für Notarzteinsätze und Bereitschaftsdienste, diese Dienste müssten auf verbleibende Arztpraxen verteilt werden. Vielfach brechen diese Dienste nach einer Klinikschließung zusammen. Neue Strukturen mit großen Entfernungen und Kosten müssen aufgebaut werden. • Das fachärztliche Leistungsangebot in Geislingen und Umgebung wird sich signifikant verringern. Für niedergelassene Fachärzte sinkt die Attraktivität eines Standortes ohne Krankenhaus, es drohen Abwanderungen …
Hieraus ergibt sich auch noch eine andere Dimension hinsichtlich des Erhalts von Krankenhäusern im ländlichen Raum: Nämlich der Erhalt einer ländlichen Infrastruktur und gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Krankenhäuser sind dort wichtige Arbeitgeber. Es geht also auch um den Erhalt von hunderten Arbeitsplätzen und Einkommen auf dem Land, die Verhinderung von weiterer Landflucht. Um das Entgegenwirken der Verödung von Kleinstädten und Dörfern, ein Abbremsen weiterer Verstädterung und des Verkehrskollaps sowie von Horrormieten bei knappem Wohnraum in den Städten usw. Sollen die ganzen KrankenpflegerInnen und Krankenhausangestellten in die Städte abziehen oder gar für die Krankenpflege verloren gehen, weil sie nicht mehr in ihrer Heimat auf dem Land oder in Kleinstädten benötigt werden? Es gibt immer wieder auch Menschen, die sich aufgrund von Pflegebedürtigkeit oder gesundheitlicher Anfälligkeit im Alter dazu entscheiden, in die Stadt zu ziehen, weil dort die Gesundheitsversorgung besser sei. Durch Krankenhausschließungen wird dieser Trend bestimmt nicht gestoppt. Auch deshalb werden die Krankenhäuser auf dem Land benötigt, weil dort mehr alte Menschen leben und viele Altenpflegeheime sind, die auf ein ausreichendes stationäres geriatrisches Angebot angewiesen sind.
Die Corona-Pandemie demonstrierte zudem, dass der Erhalt der Krankenhäuser in Krisenzeiten auch ein wichtiger Faktor für die Funktionstüchtigkeit unserer Gesellschaft und unserer Demokratie sein kann. Während der Corona-Pandemie sollte sich das gesamte gesellschaftliche Leben und die Ausübung der Grundrechte den Corona-Neuinfektions- und Todeszahlen unterordnen. Die bange Frage war, ob die Intensivbettenkapazitäten in den Krankenhäusern reichen, damit keine Überforderung oder gar Kollaps in der Krankenversorgung geschehe.
Doch anscheinend interessierte dies das Bundesgesundheitsministerium und seine einflüsternden Gesundheitsökonomen nicht: In geradezu unverschämter Weise wurde mit dem Krankenhausrettungsschirm 2.0 im November 2020 im Bundestag unter anderem beschlossen, nur die großen Krankenhäuser mit Ausgleichszahlungen für noch freigehaltene oder freie Betten zu unterstützen. Mindestens die 600 kleinen Krankenhäuser, die vor wenigen Jahren aus der anerkannten Notfallversorgung ausgeschlossen wurden, gingen diesbezüglich leer aus. Hunderte weitere Krankenhäuser bekamen nur gekürzte Zahlungen. Die gesetzlichen Nachbesserungen brachten nur geringfügige Korrekturen. Viele Medien haben dies entweder nicht richtig mitbekommen oder dazu weitgehend geschwiegen. Selbst die Krise sollte dafür herhalten, Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung von der Behandlung von Covidpatienten auszuschließen, um nun hinterher zu behaupten, dass die großen Krankenhäuser die Pandemie angeblich weitgehend alleine bewältigt hätten, was zeige, dass die kleinen nicht benötigt würden. Entgegen dieser Behauptungen zeigen Erhebungen, dass deutschlandweit im Jahr 2020 sogar rund 40 Prozent der COVID-Intensivpatienten nicht bei Maximalversorgern lagen. Der Gesundheitsminister, die Regierung und andere kündigen die gesellschaftliche Solidarität auf, wenn sie mehr oder weniger offen die Vernichtung von Behandlungskapazitäten im Krankenhauswesen betreiben, während sie von der Bevölkerung Solidarität in Form von Folgsamkeit gegenüber Anti-Corona-Maßnahmen einfordern.
Diese Politik steht auch im Widerspruch zu Feststellungen des „Grünbuch 2020 – zur Öffentlichen Sicherheit“ des Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit e. V., beauftragt von den Bundesministerien des Inneren, der Forschung und der Bildung. Darin heißt es: „Die … dargestellte künftige Struktur der stationären Notfallstufen berücksichtigt nur unzureichend die erforderlichen kapazitiven Vorhaltungen zur Bewältigung eines eskalierenden Ausbruchs einer Infektionskrankheit, deren adäquate Bereitschaftsplanung und Evaluierung, kontinuierliches Training und Übung. … Die Gesundheit der Bevölkerung ist Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge, sodass Versorgungskapazitäten auch mögliche Krisensituationen berücksichtigen sollten. Der Mangel an medizinischem und pflegerischem Fachpersonal muss konsequent angegangen werden. Hier bedarf es einer angemessenen Vergütung, besserer Arbeitsbedingungen und guter Ausbildungsstrukturen.“
Und was will die Bevölkerung? Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag von Gemeingut in BürgerInnenhand sprach sie sich zu 88% gegen Klinikschließungen aus und zu 96% für den Vorrang der Patientenversorgung gegenüber einer Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser. Bei der Bundestagwahl im September stehen jedoch nicht die Zukunft der Krankenhäuser auf dem Wahlzettel, sondern Parteien. Die finanzielle Schieflage im Gesundheitssystem und die Bestrebungen von Gesundheitsökonomen, die im Bundesgesundheitsministerium ein und aus gehen und in zahlreichen Beiräten und Gremien sitzen und oftmals Interessenskonflikte haben, lassen jedoch befürchten, dass nach der Wahl schwerwiegende Entscheidungen anstehen könnten. Zwar bekennen sich die Parteien in der Regel zu einer guten Gesundheitsversorgung, zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land und zu guten Arbeitsbedingungen. Jedoch tendiert die umgesetzte Politik in Bund und Ländern bisher in eine andere Richtung, was den Erhalt und die Ertüchtigung der Krankenhauslandschaft – insbesondere im ländlichen Raum – betrifft.
Schaut genau in die Wahlprogramme der Parteien, ob dort nicht beispielsweise über das Hintertürchen „Integriertes Versorgungszentrum“ (ohne oder mit nur sehr eingeschränkten stationären Kapazitäten) die Schließung von Krankenhäusern als versteckte Option angedeutet wird. Fordert die Parteien, Politiker und Bundestagskandidaten zu klaren Aussagen und Bekenntnissen auf! Und engagiert Euch auch nach der Bundestagswahl für den Erhalt und die Ertüchtigung unserer Krankenhäuser – insbesondere im ländlichen Raum.
Profitorientierung und Privatisierung in der Krankenhauslandschaft
Es ging vor wenigen Tagen durch die Medien: Ein junges Paar pendelte täglich von Eberbach nach Heidelberg in die Geburtshilfestation zur Untersuchung. Eines Tages setzen die Wehen ein und bis sie im Krankenhaus ankommen, ist das Baby schon auf der Welt.
Die Geburtsstation im Eberbacher Krankenhaus wurde schon vor Jahren geschlossen, 2020 auch die im Krankenhaus in Mosbach. Jetzt muss man nach Buchen, Heilbronn, Sinsheim oder Heidelberg fahren. Unter Umständen täglich… Geschlossen wurden die Abteilungen, weil sie nicht profitabel genug waren.
Am 18. Oktober 1984 stand im Bundestag das Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung auf der Tagesordnung. Der damalige »Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung«, Norbert Blüm, beschrieb die neoliberale Wende der CDU/FDP-Regierung für den Krankenhaussektor so: »Wer für Entstaatlichung der Daseinsvorsorge ist, der kann bei der Krankenhausreform seinen Mut beweisen.« Zur Begründung schlug der Minister kräftig auf die Pauke: »Gegliedertes Sozialsystem, Selbstverwaltung, Pluralität – das ist der Garten, das ist das Feld, auf dem wir leben wollen, nicht aber in einer uniformen Zementwüste des Kollektivismus.« Nach Änderung einiger Gesetze konnten Krankenhäuser ab dem Jahr 1985 Gewinne erzielen. Die ersten privaten Betreibergesellschaften erschienen auf der Bildfläche..
1993 wurde unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (schwarz-gelbe Koalition) mit dem Gesundheitsstrukturgesetz den Krankenhäusern ermöglicht, uneingeschränkt Gewinne und Verluste zu machen und Gewinne an Anteilseignern auszuschütten. Dies war ein wesentlicher Turbo für eine Privatisierungswelle. Manche sprachen hier auch von einer »Lex Rhön«. Mittlerweile ist offensichtlich, dass die Ermöglichung von Gewinnen und nicht die Sorge um die Gesundheit der Menschen der entscheidende Faktor für das Engagement der privaten Krankenhausgesellschafter war. Schließlich lockte ein milliardenschwerer Markt. Derzeit erreicht die Krankenhauswirtschaft in Deutschland einen Umsatz von 100 Milliarden Euro – für private Klinikkonzerne ein enormes kapitalistisches Mehrwertvolumen mit hohen Profitraten.
Den privatisierten »Markt« teilen sich insbesondere vier große Konzerne: Fresenius/Helios SE, Asklepios Kliniken GmbH, Röhn AG und Sana AG. Insgesamt sind knapp 37% der Krankenhäuser in Deutschland in privater Hand. Hunderttausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, hunderte Subfirmen, verschachtelte Firmenkonstrukte, weltweite Expansionspläne. Finanziert wird das alles mit unseren Krankenkassenbeiträgen, auf dem Rücken von Personal und Patienten! Und hier geht es nicht um hochwertige und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Vielmehr geht es um eine (finanzielle) Luxusversorgung von Eigentümern und Aktionären, sowie Kanzleien und Beratungsunternehmen.
Jetzt, während der Corona-Pandemie, verschärft sich die ganze Situation für viele Krankenhäuser. Vor allem diejenigen im ländlichen Bereich, die Kliniken der Grund- und Regelversorgung, bekommen keine oder kaum Ausgleichszahlungen für die Behandlung von Corona-Patienten, die großen Häusern jedoch gewährt werden. Man bekommt den Eindruck, als würde die Corona-Pandemie als Mittel genutzt, die Krankenhauslandschaft zurechtstutzen zu können!
Man kann ja über die Struktur der Versorgungslandschaft bei stationären Behandlungen durchaus diskutieren. Aber dann muss man sich nach dem jeweiligen Bedarf ausrichten und nicht alles dem Markt überlassen. Der Markt ist blind gegenüber dem Versorgungsbedarf.
Das führt dazu, dass Häuser schließen oder verkauft werden, die eigentlich nicht geschlossen oder verkauft werden sollten. Die Zahl der Kliniken und Krankenhäuser in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Waren es 1991 noch rund 2.400, zählt das Statistische Bundesamt aktuell noch 1.914 Kliniken. Vor Corona haben vor allem die Bertelsmann-Stiftung und die Leopoldina die Notwendigkeit von Schließungen propagiert. Die »Bertelsmann-Studie« ist der Inbegriff des Lobbyismus zugunsten der privaten Krankenhauskonzerne. Sie vertritt die Meinung, man könne 800 der knapp 1900 vorhandenen Krankenhäuser schließen. Keine Überraschung: Frau Brigitte Mohn ist nicht nur Gesellschafterin der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft und Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, sondern auch Mitglied im Aufsichtsrat der Rhön Klinikum AG. Die Leopoldina aus Halle, auch bekannt als „Nationale Akademie der Wissenschaften“, forderte 2016 sogar die Schliessung von 1600 der damals gut 1900 Krankenhäusern.
Hinzugekommen ist die GKV, der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen. Diese will Kosten drosseln, wie die anderen auch. Denn bisher wurde dieses Ziel ja nicht erreicht. Sie will sparen und außerdem sehr viel stärkeren Einfluss gewinnen auf das stationäre Versorgungsgeschehen. Das geht so weit, dass Verträge mit einzelnen Kliniken gewünscht werden. De facto will man selbst Kliniken betreiben. Das hat mit einer Versorgungsstruktur, die sich am Bedarf orientiert, nichts zu tun. Krankenhausbetten und Krankenhäuser sollten abgebaut werden, um die „Kosten“, d.h. die Kosten der Krankenkassen und damit die so genannten „Lohn-Nebenkosten“ der Wirtschaft zu senken.
Aktuell stagniert der Markt der privaten Krankenhäuser, Gewinn muss dennoch gemacht werden. Also wird der Focus auf andere Betätigungsfelder geworfen: Integrierte Gesundheitskonzerne, Campus-Konzepte, der Plattform-Gedanke: Die Privaten drängen seit Jahren zunehmend in den ambulanten Sektor, in den Bereich der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).
Oder den Bau neuer Krankenhäuser. Die Kapazitäten müssten ihrer Meinung nach an anderer Stelle neu aufgebaut werden. Zentralkliniken müssen völlig neu gebaut werden oder bestehende Kliniken deutlich erweitert werden. Ein Beispiel: Dänemark veranschlagt für den Umbau seiner Krankenhauslandschaft sechs Milliarden Euro. Bezogen auf die deutsche Bevölkerungszahl wären dies 80 Milliarden Euro. Geld, das die privaten Betreiber einstreichen möchten.
Was wir wollen:
- Eine Landschaft, die oben bei den Universitätskliniken anfängt. Es gibt Maximalversorger und Regelversorger in den größeren Städten und in den mittleren Städten auch Regel- und Grundversorger. In ländlichen Regionen sollen Krankenhäuser auch auf der ambulanten Schiene tätig sein können.
- Wenn Krankenhäuser keine Gewinne mehr machen und ihre Kosten stattdessen refinanziert würden, wäre der Durchmarsch der Privaten schnell zu Ende. Der Staat muss wieder seiner ureigensten Aufgabe, der Sicherstellung der Daseinsvorsorge, nachkommen.
- Schluss mit Gewinnen privater Firmen aus dem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem! Die Gewinne der Aktionäre sind die Beiträge der Versicherten. Die wurden über das Krankenhaus in Dividenden umgewandelt. Das ist eine systematische Umverteilung von Versicherungsbeiträgen.
- Ohne adäquate Alternativen zur wohnortnahen Versorgung, darf es keine Schließung einer Klinik geben.
- Solche Alternativen wären zum Beispiel:
- Einrichtung von Primärversorgungszentren vor Ort mit Überwachungsbetten
- Einrichtung von mehr Standorten für die Notfallrettung (mit Notarzt) als derzeit bestehen.
Die Bundesländer schauen angesichts überwältigender Probleme einfach weg, die Verantwortung für das Gesundheitswesen will niemand ernsthaft übernehmen. Dazu gehört auch zu sagen, dass gute Medizin Geld kostet. Was die Politik den Beitrags- und Steuerzahlern nicht zumuten mag, wird auf dem Rücken von Ärzten und Pflegekräften ausgetragen. Und damit auf dem der Bürger.