15.5.2019
Gegründet wurde der AfD-Kreisverband Neckar-Odenwald 2013, also noch im gleichen Jahr wie die Gesamtpartei. Schwerpunktthema war damals noch die Kritik der Euro-Rettungspolitik, wozu beim Bundestagswahlkampf in der Alten Mälzerei in Mosbach Prof. Dr. Joachim Starbatty sprach. Der Kreisvorsitzende Uwe Wanke verortete die Partei damals in der „Mitte“ und meinte: „Jeder, der bei uns Mitglied wird, muss Zeugnis ablegen, dass er nicht in einer braunen Partei war.“ Die AfD verpasste damals mit 4,7 % knapp den Einzug in den Bundestag. Im Wahlkreis Odenwald-Tauber erhielt die AfD 5,2 % und ihr Direktkandidat Uwe Wanke 4,1 %. Bei den Wahlen zum Europaparlament am 25. Mai 2014 erzielte die AfD im Neckar-Odenwald-Kreis 6,6 % und lag damals knapp unter dem deutschlandweiten Ergebnis von 7,1 %.
Seine eigentliche politische Tätigkeit begann der Kreisverband dann gegen Ende 2015 und hielt vor den Landtagswahlen am 13. März 2016 zahlreiche Info-Veranstaltungen und Stammtische ab. Erste Gegenproteste durch das noch lose Bündnis „Mosbach gegen Rechts“ gab es im März 2016: Eine Kundgebung sollte „ein Zeichen für Solidarität, für Humanismus und gegen Rassismus“ setzen sowie gegen die Etablierung von AfD-Stammtischen. Im Raum Buchen-Walldürn formierte sich ein wenig später das Bürgerbündnis „Herz statt Hetze Neckar-Odenwald“.
Nach dem Sommer der Willkommenskultur 2015 und den sexistischen Übergriffen von männlichen Migranten an Silvester 2015/2016 in Köln waren die Hauptthemen der AfD nun Migrationskritik und Ausländerkriminalität. Der Kandidat Uwe Wanke verpasste trotz eines überdurchschnittlichen Ergebnisses von 18 % den Einzug in den Landtag. Bauen konnte die AfD zunehmend auch auf Stimmen von Russlanddeutschen, um die auch in kyrillischer Schrift geworben wurde. Andere Parteien rechts von CDU und FDP spielten keine Rolle: im Neckar-Odenwald-Kreis erzielten die gemäßigte AfD-Abspaltung ALFA 1 %, die Republikaner 0,3 % und die NPD 0,6 %.
Trotz der Ankündigung von Uwe Wanke kam die Gründung von Ortsverbänden in der Folgezeit kaum voran. Formal verstand sich der Kreisvorstand trotz Hetze gegen Migranten und seiner Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung damals noch eher als bürgerlich-konservativ. Wenn Uwe Wanke offene AfD-Stimmtische eröffnete, begann er meist sinngemäß mit dem Hinweis, dass rassistische, rechtsextremistische oder antisemitische Aussagen nicht geduldet würden, unabhängig davon, dass diese Ankündigungen folgenlos blieben.
2017 wurde die AfD-Landtagsabgeordnete Dr. Christina Baum aus Lauda einstimmig zur Direktkandidatin des Wahlkreises Odenwald-Tauber für die Bundestagswahl am 24. September nominiert. Ihre nationalistisch-völkische, antifeministische Haltung und Agitation beeinflusste auch den Kreisverband, der sich auf Christina Baum positiv bezog.
Im Rahmen des Bundestagswahlkampfes 2017 lud die AfD am 21. Juni und 5. Juli den baden-württembergischen Fraktionsvorsitzenden Prof. Dr. Jörg Meuthen nach Mosbach bzw. Lauda ein, am 14. September Björn Höcke vom rechten Rand der Partei nach Wertheim sowie am 16. September den Parteivorsitzenden Dr. Alexander Gauland in die Stadthalle Buchen. An allen vier Terminen veranstalteten lokale Bündnisse Gegenkundgebungen. Auf der Homepage und Facebook-Seite postete der damalige Kreisvorsitzende Uwe Wanke Beiträge mit teilweise chaotisch und wirr klingenden Formulierungen. Beim „Bürgergespräch“ der AfD mit Jörg Meuthen in Mosbach erklärte Dr. Christina Baum, dass die Begriffe „Toleranz“, „Inklusion“ oder „bunte Gesellschaft“ „politische Kampfbegriffe der Kulturmarxisten, deutschlandfeindlichen Politikern und Gutmenschen“ seien. Ziel „allgegenwärtiger Indoktrinationen“ sei die Zerstörung der Familie, und Angela Merkel habe die deutsche Fahne in die Ecke geworfen und müsse deshalb gehen. Bei der Bundestagswahl 2017 erzielte Christina Baum dann 13,6 Prozent im Wahlkreis Odenwald-Tauber, womit sie über dem Landesdurchschnitt lag.
2018 agitierten sie und der Kreisverband gegen den Neubau der Moschee in Buchen, wobei sie völlig überzogene Dimensionen suggerierten und es auch nicht zur Kenntnis nehmen wollten, dass die Bauplanungen zurückgezogen wurden. Zudem veranstaltete der Kreisverband Mahnwachen gegen die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen in Merchingen und anlässlich des Brandes in der Flüchtlingsunterkunft in Haßmersheim. Unter Berufung auf Polizei und Staatsanwaltschaft bezeichnete die RNZ Mosbach das auch aus den Reihen der AfD geschürte Gerücht, der Brand sei an mehreren Stellen von Flüchtlingen gelegt worden, als „klassischen Fall von Fake News“. Im September 2018 wurde der bisher einzige AfD-Ortsverein im Kreis in Buchen gegründet. Prominente Gäste beim Kreisverband waren 2018 einmal gemeinsam Meuthen, Özkara und Gögel sowie jeweils einzeln Dr. Zeller aus Heidelberg, MdB Franziska Gminder aus Heilbronn und Guido Reil, der jetzige Europawahlkandidat auf dem zweiten Listenplatz.
Die AfD agierte aus Furcht vor Protesten und vielleicht vor einzelnen Besuchern von Initiativen gegen Rechts auf ihren Veranstaltungen immer verdeckter. Sie lud kaum noch öffentlich ein oder gab erst am Abend vorher ihre Treffpunkte auf der Homepage bekannt, bestellte Polizeischutz und suchte „mutige Wirte“, die ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellten.
Bruch innerhalb des Kreisverbandes im Herbst 2018
Zu einem Bruch innerhalb des Kreisverbandes kam es im Herbst 2018. Mitglieder unter anderem von der Jungen Alternative Kurpfalz kritisierten den Kreisvorsitzenden Wanke als unfähig, die Öffentlichkeitsdarstellung des Kreisverbandes sei lächerlich, die Internetseiten seien voller sprachlicher und grammatikalischer Fehler, erfahrene Mitglieder – darunter angeblich ein ehemaliges CDU-Mitglied – würden verprellt und nervende und störende Personen aus dem politisch linken Spektrum würden auf AfD-Stammtischen geduldet.
Hingegen sahen andere Mitglieder der AfD Neckar-Odenwald angeblich Intrigen des „Rechten Flügels“ am Werk, klagten über „Nazi-Stammtische“ und einen „Rechtsruck“ durch die „Falken“: „Höcke und Co. soll der Weg geebnet werden. Christliche, konservative und patriotische Werte haben ausgedient. Hardliner und Junge Alternative machen Druck.“
Mindestens einmal leitete der damalige Landesvorsitzende der Jungen Alternative Moritz Brodbeck aus dem Südschwarzwald die Mitgliederversammlung mit knapp 30 Anwesenden, wie er postete: „und das Bier schmeckt“. Brodbeck soll selbst einmal den Identitären angehört haben, trat angesichts der bevorstehenden Beobachtung der Jungen Alternative Baden-Württemberg durch den Verfassungsschutz aus der JA aus wie 50-100 andere und scheint seither eine Karriere als AfD-Funktionär anzustreben; zumindest ist er des öfteren als Versammlungsleiter tätig.
Am 23. Januar 2019 verkündete Uwe Wanke in der RNZ nach „Querelen und Anfeindungen“ seinen Rücktritt als Kreissprecher. Im März 2019 erklärte er enttäuscht und vielleicht gekränkt auf seiner Facebook-Seite anhand einer bekannten Bismarck-Karikatur „Der Lotse geht von Bord“:
„Das Schiff wurde geentert. Dass es ganz zu solchen Verwerfungen kommen würde, hätte niemand gedacht. Der rechte Flügel hat das Ruder übernommen. Nach fünfeinhalb Jahren Aufbauarbeit ist meiner Meinung nach die AfD im NOK nicht mehr das, was es früher war. In unserer konservativen Bürgerbewegung wurde ein vom „Rechten Flügel“ und der „Jungen Alternative“ durchsetzter neuer Vorstand installiert.“ Dass der Mitte März neu gewählte Vorstand „nicht in der Presse öffentlich bekannt gemacht“ wurde, erwecke in ihm „den Eindruck als ob man etwas verbergen möchte und das Wahlvolk im Glauben lässt, dass alles gerade so weiter geht.“ „Bekennende Mitglieder „des Flügels“ sowie Unterzeichner des „Stuttgarter Aufrufs“ und Mitglieder der JA“ seien „mit im Vorstand“. Zusammen mit anderen sei seine „Wenigkeit Uwe Wanke“ ausgetreten. Zudem beklagte Wanke „Daten-Missbrauch im Kreisverband“.
Der Kreisverband löschte die alten Facebook-Einträge und richtete eine neue Homepage ein. Bekannt gegeben wurde nur der Name des neuen Kreisvorsitzenden Johann Martel, welcher dem Forum „Russlanddeutsche für die AfD“ angehört. Ein Foto auf seiner Seite in einem sozialen Netzwerk zeigt ihn zusammen mit dem ehemaligen AfD-Rechtsaußen André Poggenburg in Möckmühl.
Für die Kreistagswahl gab sich die AfD Neckar-Odenwald ein Kommunalwahlprogramm, das jedoch zu über 90 % wörtlich samt der Grafiken vom Programm der AfD Kreis Heilbronn kopiert wurde und an wenigen Stellen angepasst wurde. Selbst beim Thema Gesundheitsversorgung wird auf das Beispiel der Schließung der Krankenhäuser Möckmühl und Brackenheim verwiesen, ohne auch nur die schwierige Lage und die Bemühungen in unserem Kreis und die vielen Millioneninvestitionen zur Begleichung des Defizits, zum Erhalt und Ausbau der Neckar-Odenwald-Kliniken zu erwähnen.
Anders als andere Parteien wollte die AfD NOK die Namen ihrer Kandidaten zuerst nicht von sich aus veröffentlichen. Dabei sind Kommunalwahlen vor allem Persönlichkeitswahlen. In einem Leserbrief in den FN schrieb Karl Heinz Neser: „Die AfD geriert sich wie eine Untergrundpartei: Öffentliche Versammlungen gibt es keine, Presse ist bei ihren Parteitagen nicht zugelassen. Bei ihren internen Treffen im Landkreis stehen vor der Tür des Nebenzimmers von Lokalen zwei Polizisten, … Die Namen der Kandidaten nennt man auch nicht; beim Regierungspräsidium wollte man … durchsetzen, dass die Anschrift der Kandidaten nicht auf dem Stimmzettel steht. … Ich schließe daraus, dass die AfD ein Geheimbund und alles andere als eine demokratische Partei ist. … Die AfD scheut aber das Licht der Öffentlichkeit und will mit den Wählerinnen und Wählern ein Versteckspiel betreiben.“
Für die Kreistagswahlen stellte die AfD Neckar-Odenwald in allen sieben Wahlkreisen jeweils zwei Kandidaten auf. Nur vier der 14 Kandidaten kandidieren aber in dem Wahlkreis, in dem sie auch wohnen. Neser kommentierte in der RNZ: „Dahinter steht womöglich die Absicht, die Kandidaten für den Wähler ‚unsichtbar‘ zu machen.“ Zu hinterfragen ist beispielsweise, warum jemand aus Mosbach im Wahlkreis Mudau kandidiert, im Wahlkreis Mosbach dafür zwei Russlanddeutsche aus Walldürn auf der Liste stehen. Für die Gemeinderatswahlen treten für die AfD in Walldürn sieben Kandidaten an, in Seckach zwei sowie in Buchen und Mosbach jeweils drei, insgesamt also 15 AfD-Kandidaten in vier Gemeinden im Neckar-Odenwald-Kreis.