Beiträge zum Selbstverständnis (Mosbach gegen Rechts) und zum AfD-Europaprogramm

15.5.2019

Teil 1: Einleitung und eine Klarstellung

Die Initiative „Mosbach gegen Rechts“ hat zu dieser Kundgebung aufgerufen, um anderthalb Wochen vor den Europa- und Kommunalwahlen ein Zeichen für eine offene, solidarische und bunte Gesellschaft zu setzen – für Toleranz, Freiheit und Demokratie – und gegen Hetze, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit.

Bezüglich Europa und der Europäischen Union (EU) haben wir unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen. Einige würden die Europäische Union gerne reformieren oder weiterentwickeln – andere hingegen lieber ein neues Modell eines solidarischen, freiheitlichen und demokratischen Europas entwerfen. Gemeinsam aber verwerfen wir eine national bornierte Kritik an der EU, die Deutschland vorrangig als Opfer sieht, genauso wie die kulturrassistische Vorstellung eines „Kampfes der Zivilisationen“, bei dem sich die „Festung Europa“ gegen den Rest der Welt abschottet.

Vor Ort in den Gemeinden, Städten und Kreisen müssen wir als Nachbarn, Arbeits- und VereinskollegInnen, Bürger, SchülerInnen und bei vielfältigen anderen Begegnungen sowie als Menschen mit unterschiedlichen Identitäten miteinander leben. Daher sollten wir Wege der Solidarität, der Kooperation, der Verständigung und des respektvollen und achtsamen Umgangs suchen, weshalb wir menschenfeindliche Ausgrenzung, Hass und Hetze ablehnen.

Mit diesem Selbstverständnis weist die Initiative „Mosbach gegen Rechts“ auch die verleumderische Behauptung des AfD-Kreisvorstandes auf seinen Internet-Seiten zurück, „Mosbach gegen Rechts“ habe auf einer Veranstaltung letzte Woche rassistisch gegen Aussiedler gehetzt und verhöhnt. Thema des Vortrags war die Entwicklung der AfD Neckar-Odenwald, der Bruch innerhalb des Kreisverbandes im letzten halben Jahr und seine Rechtsverschiebung. In diesem Vortrag wurde nebenbei gestreift, dass die AfD um Russlanddeutsche als Wähler wirbt und auch in ihre Parteiarbeit erfolgreich einbindet.

Der Referent hat aber an keiner Stelle aus Russlanddeutschen „Russen“ gemacht oder allgemein irgendwelche Aussagen über Russlanddeutsche getroffen. Für Mosbach gegen Rechts sind Russlanddeutsche und andere Aussiedler unumstrittener und dazugehörender Bestandteil der Gesellschaft in Deutschland, im Neckar-Odenwald-Kreis und in Mosbach. Auch eine populistische Sozialneid-Debatte gegen Aussiedler, wie sie einmal Oskar Lafontaine in den 1990er Jahren mit seiner Forderung nach Zuzugsbegrenzung mitbefeuert hat, lehnen wir als unsolidarisch und Gefährdung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ab.

Die Behauptung der AfD Neckar-Odenwald auf ihrer Homepage und Facebook-Seite unter dem Motto „Hetze und Rassismus der sogenannten Guten gegen Aussiedler“ weisen wir daher als Falschmeldung und schlechte Wahlkampftaktik zurück. Wie die AfD Neckar-Odenwald Aussagen verdreht, zeigt sie mit einem Post auf derselben Facebook-Seite wenige Tage davor, als sie Forderungen Kevin Kühnerts nach sozialer Umverteilung demagogisch in ihr Gegenteil verkehrt und suggeriert: „Die SPD will Dir Dein Haus wegnehmen!“

Teil 2: Die AfD zur Europawahl 2019

Es gibt an der Europäischen Union (EU) sicherlich viel zu kritisieren. Wo zum Beispiel eine soziale, ökologische oder antimilitaristische Kritik nötig wäre, bemängelt die AfD jedoch vor allem die Einschränkung der Souveränität Deutschlands. Sie vertritt also eine nationalistische statt eine emanzipatorische Sichtweise, bezogen mehr oder weniger auf sämtliche Politikfelder in ihrem Europawahlprogramm.

Die AfD will daher ein „Europa der Vaterländer“, eine europäische Gemeinschaft souveräner Nationalstaaten. Ein gemeinsames Europa lehnt sie mehr oder weniger ab. Ihre Europaidee beschränkt sich dabei vorwiegend auf einen „möglichst unbehinderten Binnenmarkt“, also die EU als Freihandelszone. Ansonsten will die AfD einen „Dexit“ durchsetzen.

Dem „Gebilde“ eines europäischen Zusammenschlusses würde „ein Staatsvolk“ und eine „kulturelle Identität“ fehlen. Hingegen benennt das AfD-Europawahlprogramm im Widerspruch dazu selbst Bausteine zu einer europäischen kulturellen Identität: „die seit der Aufklärung in Europa entwickelten Prinzipien von Volkssouveränität und Demokratie“, die „griechisch-römische Antike, das Juden- und Christentum, die Aufklärung und die Menschenrechte“, die Europa „wesentlich geprägt“ haben. Diese Identität Europas scheint der AfD aber nur wichtig zu sein, um sie gegen Migranten und den Islam ins Feld zu führen.

Dass Deutschland bisher von der Europäischen Union und dem Euro profitierte, wird nicht gesehen: man sieht sich als Opfer einer „Transferunion“ und lehnt damit den Gedanken eines solidarischen, sozialen Europas und einem Ausgleich von innereuropäischen Gefällen oder bei Verwerfungen ab. Die Verträge von Schengen, Maastricht und Lissabon hätten das Prinzip der Volkssouveränität ausgehöhlt. Auch hier wieder eine nationalistische Sichtweise, statt zu bemängeln, dass die harten Stabilitätskriterien auch eine sozialere Politik in Europa untergraben haben. Es gibt viele Gründe gegen zu viel Bürokratie, die AfD formuliert jedoch ein neoliberales Motto: „Wettbewerb statt EU-Bürokratie“.

Die AfD will das Europa-Parlament abschaffen, weil es „undemokratisch“ sei, und stattdessen alles nur noch auf der Ebene der Regierungen der Nationalstaaten verhandeln. Allerdings erscheint zweifelhaft, ob das Geklüngel hinter verschlossenen Türen der Staatschefs oder Minister ein Gewinn an Demokratie bedeutet. Ein „Europa der Bürger“, was AfD-Spitzenkandidat Meuthen auf Wahlplakaten fordert, ist etwas anderes.

Die AfD will ein souveränes Deutschland, wobei zu hinterfragen ist, inwieweit es überhaupt so etwas wie gleichberechtigte nationale Souveränität geben kann: auch in einem Europa der Vaterländer hätten ein wirtschaftlicher Koloss wie Deutschland, eine regionale Hegemonialmacht wie Russland oder machtpolitisch einflussreiche Staaten wie Frankreich und Großbritannien mehr Souveränität als beispielsweise kleine oder wirtschaftlich schwache Staaten.

Die AfD wünscht sich, dass Deutschland sowohl zum „Bündnispartner“ USA als auch zu Russland gute Beziehungen unterhalte. Gleichzeitig befürwortet sie die NATO, ohne zu erklären, wie der Ausgleich mit Russland geschehen soll, wenn die NATO immer näher bedrohlich an Russland heranrückt. Eine europäische Armee lehnt sie nicht aus antimilitaristischen Gründen ab, sondern wegen „Souveränitätsabgabe“. Dass Deutschland auch ein Stück Souveränität an die NATO in Form von Bündnisverpflichtungen abgibt, scheint die AfD ausnahmsweise nicht weiter zu stören. Die AfD will das 2-Prozent-Ziel der NATO, was beinahe die Verdoppelung des jährlichen deutschen Verteidigungshaushaltes von momentan etwa 42 auf fast 80 Milliarden Euro im Jahr 2024 bedeuten würde – Geld, welches dann zum Beispiel für Sozialpolitik, Wohnungsbau und Bildung fehlen könnte.

Über eine halbe Million syrischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland will die AfD „jetzt unverzüglich“ abschieben: also in das Syrien unter dem Diktator Assad. Da dort kein Bürgerkrieg mehr herrsche, sei das Land sicher. Menschenrechte und Schutz vor Folter und Verfolgung scheinen für die AfD eine geringe Relevanz zu haben. Unter dem Stichwort „Syrien“ gibt die AfD auch keine Solidaritätserklärung für das Gemeinwesen im vorwiegend kurdischen Nordsyrien ab, das sich im Abwehrkampf gegen den „Islamischen Staat“ ein begrenzte Autonomie erschuf mit Ansätzen einer basisdemokratischen Räteverwaltung, von Geschlechtergleichheit auf allen Ebenen, politischer und gesellschaftlicher Repräsentanz von nationalen und religiösen Minderheiten und einer demokratischen Wirtschaft.

Beim Thema Freihandel gibt sich die AfD widersprüchlich. Einerseits soll die deutsche bzw. europäische Wirtschaft geschützt werden, andererseits will sie Freihandel und keinen Protektionismus, schließlich ist Deutschland eine führende Exportnation.

Nach Auffassung der AfD befördert die „Hypothese des menschengemachten Klimawandels“ eine „weitere grundsätzliche Fehlentwicklung“ in der EU. Diese verknappe den Zugang zu „billiger Energie“. Stattdessen bekennt sich die AfD zur Energiegewinnung aus (Braun-)Kohle, Atomkraft, Öl, Erdgas und Wasserkraft, lehnt aber die Gewinnung von Energie aus Sonne und Wind als „schädlich“ ab. Die AfD bekennt sich zur „Freiheit des Individualverkehrs“ und zum Verbrennungsmotor. Für eine massive Förderung und Ausbau eines umweltfreundlicheren Öffentlichen Verkehrs, beispielsweise steuerfinanziert und damit kostenlos und sozial für alle, verschwendet das AfD-Europaprogramm kein Wort. Die AfD steht ebenfalls weitgehend zur konventionellen Landwirtschaft, ohne deren Mitverantwortung zum Klimawandel und Artensterben zu erwähnen. Eine nachhaltigere biologische Landwirtschaft scheint für die AfD keine Alternative zu sein.