Redebeitrag von Dekan Folkhard Krall

15.5.2019

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der heutigen Kundgebung,

was ist gut für Menschen in dieser Welt? Wie können wir in Zukunft den Frieden bewahren? Was ist gerecht? Welche Erde werden wir unseren Enkeln übergeben? Wenn solche Fragen auf der politischen Tagesordnung stehen, dann melden sich auch religiöse Menschen zu Wort. Nicht, weil eine Religion alle Antworten hätte für die Probleme dieser Welt. Nicht, weil religiöse Menschen behaupten könnten, sie hätten Patentrezepte zur Lösung aller Fragen. Zu den großen Zukunftsfragen melden sich aber auch religiöse Menschen zu Wort, weil ein Leben im Glauben politische Folgen haben kann.

Wer glaubt, dass Gott alle Menschen liebt, der wird widersprechen müssen, wenn Menschen mit Hass überzogen werden. Wer glaubt, dass jeder Mensch von Gott geschaffen ist, der wird darauf drängen, dass wir Menschen in lebensbedrohlicher Lage die Türe öffnen. Religiöse Menschen wissen nicht alles besser. Aber religiöse Menschen wissen: wir können nicht nur danach fragen, was uns selbst augenblicklich am meisten nützt. Deshalb ist es gut, dass bei den großen Zukunftsfragen in Europa auch die Religion in den Blick kommt. Als Christen wissen wir uns in besonderer Weise herausgefordert von Jesus Christus. Er zeigt uns einen Weg, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst. In der Nachfrage erläutert Jesus, dass der Nächste derjenige ist, der Hilfe braucht, selbst wenn er zu „Feinden“ gehört. Wer nach dem Beitrag von Religion an der Mitgestaltung unseres Landes fragt, der hat dabei zunächst allen Grund zur Dankbarkeit. Wir leben in einem freien Land. Unser Grundgesetz beschreibt als Grundlage für das friedliche Zusammenleben, dass allen Menschen die gleiche Würde zukommt. Diese Würde ist unantastbar.

Keiner darf wegen seiner Religion benachteiligt werden. In vielen Ländern der Erde werden noch heute Menschen wegen ihres Glaubens angefeindet. Dies betrifft weltweit Juden ebenso wie Christen, Muslime ebenso wie Hindus, Anhänger von Naturreligionen ebenso wie Menschen, die sich als Atheisten zu erkennen geben. Hier in Deutschland soll niemand Angst haben, dass ihm wegen seines Glaubens oder seines Nichtglaubens blanker Hass entgegenschlägt. Ich erinnere mich an viele Gespräche mit Menschen, die in den neunziger Jahren nach Deutschland kamen. Sie waren wegen ihres Glaubens jahrzehntelang verfolgt worden. In Sibirien, in Russland, in Kasachstan, konnten sie nur heimlich Gottesdienst feiern. Angekommen in Deutschland stehen sie nun mit einem Strahlen in unseren Gottesdiensten, freuen sich über die Hochzeit ihrer Kinder, feiern die Konfirmation ihrer Enkelkinder, und wenn sie am Grab eines nahen Verwandten stehen, dann singen sie laut und ohne Angst unter freiem Himmel die alten vertrauten Lieder, die schon ihre Vorfahren durch Notzeiten getragen haben. In den Begegnungen mit vielen Russlanddeutschen habe ich verstanden, was für ein Geschenk es ist, dass in unserem Land alle Menschen ihren Glauben frei und ohne Angst öffentlich leben können. Wir haben allen Grund, dafür dankbar zu sein. Und in gleicher Dankbarkeit können wir die Geschichten von Menschen hören, die mit ihrem jesidischen, mit ihrem muslimischen, mit ihrem buddhistischen oder hinduistischen Glauben zu uns gekommen sind.

Hier können Menschen beten ohne Angst vor Verfolgung. Der Respekt vor jeder Kultur und Religion ist ein hohes Gut, das wir in unserer freiheitlichen Demokratie gegen jeden Angriff schützen und bewahren sollen. Dazu zählt auch, dass wir uns um Verständnis für Glaubenshaltungen bemühen, die uns fremd sind. Gegen den Hass, der Andersgläubigen entgegenschlägt, hilft nur eines: einander begegnen, aufeinander hören, in einen Dialog auf Augenhöhe eintreten! Ausgrenzung und Hass nimmt uns allen das kostbarste Gut, das wir haben: unseren inneren Frieden!

Die evangelische Kirche zählt religiöse Bildung von Anfang an zu ihren Kernaufgaben. Deshalb leben, spielen und lernen in unseren Kindertagesstätten Kinder aller Glaubensrichtungen zusammen. Deshalb lernen im Religionsunterricht Kinder auch die Traditionen der großen Weltreligionen kennen. Und in vielen Klassen tun Christliche und Muslimische Kinder dies gemeinsam. So können Vorurteile und pauschale Abwertungen überwunden werden. Als Kirchen stehen wir an der Seite all der Menschen in unserem Land, die sich um ein friedliches Miteinander aller Glaubenstraditionen bemühen. In einem gemeinsamen Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland heißt es:

„Wir Kirchen widersprechen all denen, die – auch in unseren eigenen Reihen – einen religiösen Fundamentalismus propagieren, der auf soziale Abgrenzung und Abwertung von Andersgläubigen zielt. Wir als Kirchen wollen eine Kultur der Toleranz und Akzeptanz praktizieren. Das beinhaltet … auch unser aktives Bemühen um einen Dialog mit Andersgläubigen und -denkenden. Unsere Überzeugung ist: Gerade, weil die religiöse, weltanschauliche, ethnische und kulturelle Vielfalt weiter wächst, braucht unsere Gesellschaft zur Stärkung ihrer demokratischen Kräfte noch deutlich mehr Foren des Austauschs und der Verständigung.“ [Vertrauen in die Demokratie stärken. Ein Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland / hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und dem Kirchenamt der EKD. – Bonn/Hannover 2019, S.50]

Liebe Teilnehmende, gerade für religiöse Menschen kann es dazu eben gerade keine Alternative geben: Dass wir Hass überwinden und einander die Hand reichen.